
Lage & Szenarien vom 21.5.2023
Zwei Pfeile als Börsen-Wegweiser
Von Frank Sauerland
Punkt eins. Es geht bergauf. Das sagte ich vor zwei Wochen an dieser Stelle und positionierte mich entsprechend. Denn: „Kaum wird Powell deswegen eine Rezession herbeizinsen wollen, also die Zentralbankzinsen immer weiter anheben, um die Inflation zu bekämpfen und Banken krachen zu lassen (…) Für mich ist wahrscheinlich, dass die Fed den aktuellen Zinserhöhungszyklus stattdessen auslaufen lassen wird und zwar ohne davon groß Aufhebens zu machen.”
Am Wochenende räumte Jerome Powell, Chef der US-Zentralbank Fed, das Thema gefühlt für die Börse ab, indem er öffentlich darüber nachdachte, dass „unser Leitzins möglicherweise nicht so stark steigen muss, wie es sonst nötig wäre, um unsere Ziele zu erreichen.” Das Thema schaffte es kaum noch in die Nachrichten.
Punkt zwei. Die USA machen pleite. Am 1. Juni, also in rund 9 Tagen. Befürchtet weltöffentlichkeitswirksam US-Finanzministerin Janet Yellen. US-Präsident Biden und Repräsentantenhaus-Sprecher McCarthy nutzten in den letzten Tagen die Chance, sich in dem alle Jahre wieder aufgeführten Dramolett als Budget- und Staatsretter in Szene zu setzen. Sie würden sich einigen, sagten sie, und die Staatsschuldengrenze hochschrauben. Neueste Wendung: Man einigte sich doch nicht, man vertagte sich. — Crash-Aficionados läuft da ein wohliger Schauer über den Rücken. Einige Anleger wollen allerdings während der Theaterpause im Foyer erfahren haben, dass es im Finanzministerium eine Schatulle und ein Telefon gebe. Spezielle Rücklagen birgt die Schatulle, sie ist natürlich nur im Fall des Falles zu öffnen. Alternativ ließe sich auf das Telefon zurückgreifen, mit dem sich auf verbalem Wege Gesetzesänderungen anregen lassen oder - schneller noch - einige lockernde Verordnungen.
Punkt drei. Wenn ich mich mit der Börse beschäftige, dann will ich dort Gewinne machen. Oben zu sehen sind in einem Chartbild zwei Kursverläufe, welche mir als Gewinnwegweiser dienen. Die Stäbchenreihe zeichnet den Kursweg nach, welchen der PHLX Semiconductor Index seit Dezember 2022 genommen hat. Die zusätzlich eingeblendete Linie verfolgt den altehrwürdige Dow Jones Industrial Average.
Halbleiter-Sektor vor dem Abflug
Der PHLX oder Philadelphia Semiconductor Index (SOX) befasst sich - wenig überraschend - mit der US-Halbleiterbranche. Der Dow ist einer der ältesten fortlaufend existierenden Indices der US-Börse. Er umfasst 30 US-Werte, ist recht konservativ aufgestellt und wird (zurecht) seit Jahrzehnten wegen seiner fragwürdigen Zusammenstellung kritisiert. Aber er funktioniert als Anzeiger für konservative Anlagen weiterhin wunderbar. Außerdem ist er ein Gewinngenerator in schwierigen Börsenphasen. Am 4.12.2022 empfahl ich ihn mir temporär als solchen (Pfeil 1), rechtzeitig zum Januaranstieg. Nun will mir der PHLX Semiconductor Index den Weg weisen, während der Dow fällt (Pfeil 2).
Zunächst ist der Abflug des PHLX überraschend. Der Halbleitersektor startete zwar fulminant ins Jahr 2023, überall herrschten Knappheiten, das waren Nachwirkungen der Pandemie und der globalen Logistikkrise. Schon Anfang Februar erreichte der Index aber einen Hochpunkt, seitdem läuft er - grob gesehen - seitwärts. In den letzten fünf Handelstagen spurtet er plötzlich wieder. Der typische Anlegerreflex wäre nun: Woher sollte ich das ahnen? Jetzt ist es zu spät für einen Einstieg.
Mit Wahrscheinlichkeit wird es das nicht sein. Genauso wie es wahrscheinlich ist, dass die Dow-Linie nicht nur in den letzten Wochen, sondern dauerhaft mit dem Philadelphia Semiconductor Index nicht mithalten können wird. Der Dow ist für mich als Anleger nur in begrenzten (Wochen-)Zeiträumen die richtige Adresse, siehe oben; der Halbleitersektor ist mittelfristig chancenreicher. Obwohl (oder gerade) weil die weltweiten Chipverkäufe im Februar im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 24 Prozent gesunken sind und im März um 20 Prozent. Denn diese Zahlen kennen die Investmentexperten an der Wallstreet und sonstwo natürlich längst und sie kaufen trotzdem Aktien des Sektors hoch.
Weil die Profi-Investoren in die Zukunft gucken. Roboter, Cloud-Speicher, KI-Anwendungen (KI = Künstliche Intelligenz), integrierte Steuerungen für Flugzeuge, Raketen, Autos werden zusätzlichen Bedarf an modernsten Halbleitern schaffen.
Automobil-Sektor vor Transformation
In der Automobilbranche werden Fahrassistenzsysteme keine kurzlebige Mode sein, sondern ein ernstzunehmender Trend. Die Systeme brauchen Hochleistungsprozessoren. Weltweit beherrschen nur wenige Hersteller die Produktion solcher Prozessoren. Zum Glück sind die Hersteller börsennotiert … Nvidia zum Beispiel erzielt Milliardendollarumsätze, im Automotive-Bereich sind es bisher „nur” Millionen, gerade der Bereich jedoch gilt als Wachstumsektor mit Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich. (Warnung vor Impulskäufen: Nvidia ist gut gelaufen, hat jetzt mit 29 das höchste Kurs-Umsatzverhältnis im Nasdaq 100.)
Deutsche Autofabrikanten - VW, BMW, Mercedes - sind groß geworden mit kleinen Spaltmaßen und perfekten Motoren. Prozessoren jedoch gehören nicht zu ihren Kernkompetenzen, die Autofabrikanten kaufen Chips ein, kooperieren mit Computerweltkonzernen, um Steuerungssoftware zu entwickeln. Experten sehen die Automobilbranche daher global in einer Transformationsphase. So heißt es in einer neuen Sektorstudie der Berenberg-Bank: „Ähnlich wie damals in der Unterhaltungselektronik werden Autobauer ihre Produktpaletten schnell um neue Softwarelösungen erweitern – ermöglicht durch rasche Verbesserungen bei den Kosten, der Effizienz und der Leistung von Chips.”
Schnell stellt sich die Frage, wer hier Koch und wer Kellner sein wird. Bisher waren die Autohersteller die Köche in der Automobilbranche. Das könnte sich ändern. Den deutschen Unterhaltungselektronikriesen mit der stolzen Vergangenheit - Grundig, Telefunken usw - misslang damals die Transformation. Längst sind die Marktführer der Wirtschaftswunderzeit abgewickelt und vergessen bzw. sind nur noch ein Schatten früherer Größe.
Chancen für Wachstum
Bei den Autoherstellern ist die Transformationszukunft noch offen, auf jeden Fall risikoreich. Die Chancen für großes Wachstum liegen nach meinem Eindruck eher bei den Chipherstellern. Systeme für Autos sind für Chipproduzenten ein Teilgeschäft, das sie "miterledigen", da es im Kernbereich ihrer Kompetenzen und Produktionsmöglichkeiten liegt, die weltweit und in vielen Sektoren nachgefragt werden. Investierbar ist der Halbleiter-Zukunftssektor für mich über ETFs oder über Einzelaktien von Marktführern, wodurch ich die Gewinnmöglichkeiten im Sektor noch einmal stärker fokussieren kann.
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