Aktien Blog 2022Ansichten eines Aktienanlegers
Gradierwerk Bad Karlshafen: Konzentration eines Rohstoffs.

Ein Non-Lage & Szenarien am 14.5.2023

Das Gradierwerk

Von Frank Sauerland

Es waren die späten 1990er-Jahre. Die Kurse kannten nur einen Weg, nach oben. Bald handelte gefühlt jeder an der Börse. Denn keiner wollte der Dumme sein, der arbeitete, statt reich zu werden. Als die Notierungen in Frankfurt und New York endgültig steil gingen, begrüßten wir uns im Büro am Morgen nicht länger mit einem „Moin!”, sondern wir riefen uns Gewinnsummen zu, die unsere Depots über Nacht (!) gemacht hatten. Wir Ahnungslosen waren angekommen in der finalen Milchmädchenhausse.

Sie fühlte sich toll an.

Danach wurde es weniger toll. Es wurde teuer. Für manche ruinös. Im Kursabsturz der frühen 2000er-Jahre forderte die Börse nachträglich ihr Lehrgeld ein, mit Strafzinsen und Dummenzuschlag.

Um Erfahrungen reicher erlebten wir Gezausten den Wiederaufstieg der Kurse bis ins Jahr 2007 hinein. Die alten Höchstkurse waren wieder da — und die Weltfinanzkrise riss alles ein. Der Kurssturz war sogar tiefer als zuvor.

Dafür gradierten die Erfahrungen.

Die letzten Jahre: Corona-Absturz, Flutung der Märkte mit Fed-Geld und Tech-Aktien-Feuerwerk. Zinserhöhungszyklus und krachende Banken sind die Herausforderungen von heute. Ihnen begegne ich mit aufkonzentrierten Erfahrungen:

Die Fed hat immer recht. Auch auf Englisch bekannt als Don’t fight the Fed und nur, weil der Spruch unter Börsianern Allgemeingut ist, ist er nicht automatisch „verbraucht”. Im Gegenteil, er enthält Weisheit. Die Zentralbank (Fed, EZB …) kann Geld ins Finanzsystem geben und sie kann es herausnehmen. Sie ist der mächtigste Akteur, warum sollte man sich gegen ihn stellen? Bildlich gesprochen: Es schwimmt sich leichter mit der Flut als gegen sie.

Der Trend ist dein Freund. Reimt sich auf Englisch besser: The Trend is your friend. Wiederum ist das ein alter Hut — den ich trotzdem beachten darf. Weil er funktioniert. Aus vielerlei Gründen, die ich bereits an einigen zurückliegenden Sonntagen in unterschiedlichen Zusammenhängen angesprochen habe.

Die billigen Papiere werden billiger, die teuren Aktien werden teurer. Ein bisschen ist das eine Variante des Vorigen, doch mit anderem Schwerpunkt, mit einer Verdeutlichung. Aktien, welche auf den Markt geworfen werden und billig sind, werden zu oft noch billiger. Kaum einer will sie haben, nur die Unbedarften greifen zu, da sie glauben, ein Sonderangebot vor sich zu haben. Umgekehrt gilt: Natürlich sind die guten Aktien zu teuer. Weil kaum einer sie abgeben will. Morgen sind sie noch teurer, weil das Verlangen danach noch größer geworden ist.

Pass dich an. — Eben noch ist das Verlangen nach der Aktie riesig, alle wollen sie haben. Dann kommt ein Gerücht, eine Zahl, eine Nachricht und alles ist anders. Nein, es wird nicht wieder so schön wie früher, es bleibt anders und so sind die ersten, heftigen Verluste noch die geringsten. Der nächste Morgen wird schlimmer werden ... besser ist es, wenn ich mich heute schon anpasse. Das gilt nicht nur für einzelne Aktien, es gilt auch für Sektoren und Stimmungen.

Meine Meinung bedeutet dem Markt nichts. Er kennt sie nicht mal. Auch Ansichten angestellter Börsenversteher schreddert der Markt. Er muss es sogar, denn wenn die Mehrheit den Markt verstanden hat, also auf der richtigen Seite steht, dann ist natürlich die andere Seite die richtige. Wo sollen die Käufer noch herkommen, welche die Kurse hochhalten, wenn alle gekauft haben, weil sie wissen, dass es die richtige Aktie mit der großen Zukunft ist? Daraus folgt:

Der Markt hat immer recht. Selbst wenn er unrecht hat. Wenn er unlogisch ist. Wenn er falsch denkt. Wenn er übertreibt. Etwas nicht begreift. Ich doch recht habe. Ich morgen recht haben werde und es heute schon weiß und der Markt es noch begreifen wird. Nein. Er hat immer recht, heute, morgen, immerdar.

Diesmal ist alles anders. Der Satz ist für mich als Aktienanleger zu oft ein Startpunkt hinein in große Verluste. Alle paar Wochen, Monate, Jahre scheint die Formulierung „Diesmal ist alles anders” zuzutreffen. Aktuell zum Beispiel auf das Phänomen Künstliche Intelligenz. In den 2000ern war es das Internet, in den 1930ern das Radio, zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn. Was immer gleich bleibt, ist der Mensch. Er handelt an der Börse, sein Verhalten bestimmt die Kurse, beziehungsweise das Verhalten der Vielen, der Masse bestimmt die Kurse. Das Verhalten der Masse ändert sich nicht. Deswegen ist an der Börse auch dieses Mal nicht alles anders und eine neue Ära, die anbricht, ähnelt aus Sicht des Massenverhaltens der vorangegangenen Ära.

Profite laufen lassen, Verluste begrenzen. So einfach ist es tatsächlich. Dennoch verdammt schwierig. Aus zwei Gründen: (1) Rast eine Aktie im Kurs nach oben, habe ich bald das Gefühl, nun sei sie „zu weit gelaufen”. Deswegen verkaufe ich — und schaue dann hinterher, wie sie weiter hochläuft. Denn sie bleibt, siehe oben, eine gute Aktie … (2) Verlierer scheiden aus und damit meine ich nicht nur Aktien, also Unternehmen, die im kapitalistischen Wettbewerb auf der Strecke bleiben. Der Mechanismus gilt ebenso für Anleger. Auch die Nicht-Verlustbegrenzer scheiden aus. Sie haben keine Lust oder kein Kapital mehr. Die Börse ist auf Unternehmens- wie Anlegerseite ein selbstschärfendes System. Das macht sie für Profis und Privatanleger, die dabeibleiben, herausfordernd, obwohl es eigentlich einfach sein sollte ...

Regelmäßig am Sonntagvormittag vor der anbrechenden Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarienhier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben. — Lebenspraktischer Hinweis für Inhaber eines Email-Accounts von T-Online oder GMX: Die zwei Anbieter unterlassen es in den meisten Fällen, meine automatische Bestätigungsmail auf deine Newsletteranmeldung in dein Email-Postfach zu legen. Ohne einen Klick deinerseits auf den Button in der (nicht zugestellten) Bestätigungsmail bist du nicht auf meinem privaten Verteiler, erhältst kein sonntägliches Lage & Szenarien. Bitte melde dich in solch einem Fall formlos per Email bei mir, ich setze dich von Hand auf die Liste.