Aktien Blog 2022 Ansichten eines Aktienanlegers
S+P 500: Deckel, Wende und Pfeil sind eingezeichnet. Dazu das Volumen.

Lage & Szenarien vom 16.4.2023

Das Angstspiel

Von Frank Sauerland

Wir lieben das Angstspiel, geradezu süchtig sind wir danach.

  • Wir hatten Angst vor Corona und trafen Angstentscheidungen
  • Wir hatten Angst vor der Inflation, welche freigebige Notenbanken produzierten, und trafen Angstentscheidungen
  • Wir hatten Angst vor steigenden Zinsen, weil hohe Zinsen immer schlecht für Aktien sind, und trafen Angstentscheidungen
  • Wir hatten Angst vor krachenden Banken und trafen Angstentscheidungen
  • Aktuell haben wir Angst vor einer Rezession und treffen Angstentscheidungen …

So kann ich mich durch Wochen und Monate und Jahre ängstigen. Nur vor einem ängstige ich mich nicht: Meinem Zeitverbrauch, während ich mich dem Angstspiel hingebe. Das ist ein Fehler, denn Zeit ist das Kostbarste, was ich besitze; unwiederbringlich verfließt sie.

Eine der wichtigsten Aufgaben für mich als Investor ist daher, das Angstspiel zu erkennen, seine Regeln zu lernen und den wahrscheinlichen Ausgang des Spiels zu wissen. Denn das Spiel hat, wie jedes traditionelle Spiel, einen Gewinner und einen Verlierer, und ich sollte mich als Investor möglichst auf der Gewinnerseite befinden.

Wer der Verlierer am Aktienmarkt ist

Der Verlierer ist in der Mehrzahl der Spielrunden der ängstliche Investor. Der Gewinner ist immer der Spiel- und Angstmacher. Er eröffnet das Spiel, indem er Angst schürt. Anschließend befeuert er das Spielgeschehen mit neuen Angstdetails. Gerade die Details machen süchtig. Immer mehr will ich über sie erfahren, da das Detailwissen mich vermeintlich sicherer macht bei meinen Investitionsentscheidungen. Dabei ist und bleibt - auch bei allem Detailwissen - jede Entscheidung zu Aktienkäufen und -verkäufen unsicher, da offen ist, was morgen in der Welt passieren wird.

Das gerade noch aktuelle Angstspiel endet, wenn eine neuere, frischere und damit heftigere, in die Zukunft projizierbare Angst auftaucht. In dem Augenblick schaue ich zurück auf das alte, nun abgelaufene Spiel und erkenne, dass ich verloren habe und dem Gewinner gegeben habe, was er forderte: meine Aufmerksamkeit, meine Zeit.

  • Die Zeit als nicht investierter Investor ist für immer verloren
  • Die Zeit, die ich an einer falschen Angstinvestitionsentscheidung festgehalten habe, ist ebenso nicht zurückholbar.

Ich bekämpfe die Angstspielsucht, indem ich mir die wichtigste Angstspielregel vor Augen führe:

Angst bringt dem Angstmacher Aufmerksamkeit. Weniger wichtig ist für den Angstmacher, ob sein Angstszenario morgen eintrifft. Wichtig ist die Aufmerksamkeit heute, die er bekommt. Meine Aufmerksamkeit ist meine Bezahlung des Angstmachers.

Als Spielerkenner nehme ich die neueste Angstprognose zur Kenntnis und bin mir bewusst, dass

  • die Zukunft offen ist
  • der Angstprognostiker sie auch nicht kennt.

Was gesichert und objektiv zu registrieren ist, das ist die Vergangenheit. In einem Chartbild wird sie mir augengefällig aufbereitet. Der Chart enthält keine Prognose, nur gewesene Kurse, zu Zahlen gewordene Massenentscheidungen.

Wie ich zum Aktien-Gewinner werden kann

Blende ich die Zukunft aus, die ich sowieso nicht kenne, und betrachte ausschließlich, was Mehrheiten bisher für ihr Geld entschieden, dann entstehen Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeiten haben es an sich, eben nur wahrscheinlich, das heißt: unsicher zu sein und bei mir als Mensch damit Bedenken oder, deutlicher gesprochen, Ängste zu verursachen.

Wenn ich als Aktieninvestor mit solchen Ängsten, obwohl ich die Regeln des Angstspiels (siehe oben) kenne, nicht umgehen kann, dann werde ich zügig ein Investor mit schlechten Investitionsergebnissen sein und vielleicht sollte ich mich aus dem Metier komplett verabschieden.

Die Mehrheiten entschieden diese Woche hin und her. Im Chart oben ist der US-Leitindex S+P 500 zu sehen. Er ist mein Anzeiger für die US-Wirtschaft und da diese die stärkste Wirtschaft der westlichen, wenn nicht der gesamten Menschenwelt ist, dient mir der Index als grober Gesamtanzeiger. Die letzten drei Stäbchen dieser Woche zeigen:

  • Mittwoch - kräftig runter
  • Donnerstag - kräftig rauf
  • Freitag - kräftig runter, kräftig rauf.

Was denn nun?! Rauf oder runter? Kopfkratzen, Ratlosigkeit? - Nein. Denn wie üblich sind die Marktteilnehmer unentschlossen, es geht schließlich um echtes Geld, da herrscht echte Angst …

  • Die einen sagen: Die Inflation zieht sich zwar zurück, aber dafür kommt die Rezession und die Quartalsberichte der nächsten Tage und Wochen werden der Horror sein und die Ami-Regionalbanken stehen übel da und das alles wird die Kurse stürzen lassen, also verkaufen wir besser schon jetzt.
  • Die anderen sagen: All die Ängste, all die erwarteten schlechten Nachrichten sind in den Kursen bereits drin und die Markttechnik zeigt sowieso nach oben, also kaufen wir besser jetzt schon, bevor die anderen merken, dass sie auf dem falschen Dampfer sind und die Kurse mit ihren Zuspätkäufen erst recht hochtreiben.
  • Ich sage: Was kommen wird, weiß ich nicht. Zu viele Faktoren zerren an der Lage. Die Zukunft ist eine Wiederholung des Bekannten, gewürzt mit unvorhersehbaren Fortschritten und endgültig durcheinander gebracht von einer nicht endenden Aneinanderreihung von Überraschungen. So war es bisher immer … — und wenn ich glaubte, diesmal wäre es nicht so, die Lage wäre ausnahmsweise klar, exakt dann ist der Moment, da ich mich als Investor in höchster Gefahr befinde, da ich zu überzeugt bin, gerade die eine richtige, weil vermeintlich sichere Entscheidung zu treffen: Mein Vertrauen in die eigene Meinung ist zu groß geworden …

Mein Szenario ist angesichts der Lage einfach und durch einen Schritt zurück bei der Chartbetrachtung zu gewinnen; damit bekomme ich als mittelfristig orientierter Anleger Überblick. Der kleine Pfeil im Chart oben zeigt, dass sich die Kurse trotz des unentschlossenen Drei-Tage-Geschaukels in den vergangenen acht Handelstagen positiv entwickelt haben. Von der Februar-Kursspitze ausgehend bildet sich eine Rundung, ich habe sie eingezeichnet. Zugleich ist die Februar-Spitze ein Deckel, über den schwer hinwegzukommen ist. Den Deckel habe ich mit einer handgezeichneten Linie verdeutlicht.

Das aktuelle Szenario am Aktienmarkt

Die dünn gepunktete Linie markiert den Freitagsschlusskurs (14.4.2023), sie liegt auf einer Höhe mit Kursen im Februar. Hier findet ein „Kampf” statt, den wir als Tageszeitgenossen als „Unentschlossenheit” wahrnehmen.

Will ich etwas riskieren, mich also trotz aller Widrigkeiten einkaufen, dann kann ich rein mechanisch als Absicherungslinien nach unten zunächst den größten Volumenbalken nehmen, welcher im Chart als durchgehende Linie quer übers Bild verlängert ist. Endgültig Schluss mit lustig wäre beim Erreichen des Tiefpunktniveaus des handgezeichneten Bogens.

So mechanisch muss man nicht vorgehen. Ich kann mir auch sagen, als Investor sollte ich investiert sein und ich kenne das Angstspiel, also konzentriere ich mich auf die potentiellen Gewinneraktien und überlasse die Mühen der Ebene den Profi-Angstspielern von der Wallstreet.

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