Aktien Blog 2022 Ansichten eines Aktienanlegers
S+P´500 als Linie, Euro-Construction als Stäbchenreihe: Der Pfeil zeigt auf ein spannendes Phänomen.

Lage & Szenarien vom 5.3.2023

Der Abstand wird größer

Von Frank Sauerland

Der Chart beginnt links mit dem Kurs-Tief während der Corona-Pandemie. Auf der rechten Seite endet er in der aktuellen Handelswoche. Mir fällt der Abstand auf, der sich zwischen den zwei großen Indices ausweitet. Ich habe ihn mit einem Pfeil markiert. Eine solche Kurs-Schere ist für mich als Privatinvestor spannend.

Die erste Frage nach der Entdeckung des Phänomens wird lauten: Besteht ein Zusammenhang zwischen den zwei Indices? Wenn in China ein Sack Reis umfällt, während ich mir gerade den Schuh zubinde, dann hat das eine mit dem anderen nichts zu tun, die Kleinereignisse werden keine Auswirkungen aufeinander haben.

Die Wochenstäbchen verfolgen den Kursverlauf des „iShares STOXX Europe 600 Construction & Materials UCITS ETF” … was für ein sperriger Titel. Der ETF versammelt 600 börsennotierte Unternehmen aus Europa, welche in den Sektoren Bau- und Grundstoffe tätig sind. Enthalten sind mit größeren Gewichtungen beispielsweise Vinci, Holcom, Assa Abloy, Geberit, Nibe. Es ist ein themenzentrierter Aktienkorb, den ich für meine Zwecke als Index begreifen darf.

Die Vergleichslinie zeichnet den Kursverlauf des bekannten S+P 500 nach, wiederum in Form eines Investmentvehikels; der S+P 500 konzentriert die 500 größten US-Börsenunternehmen, er dient mir als Anzeiger für den Zustand des US-Börsenmarktes und der US-Wirtschaft. Der Index ist so bedeutend, dass ich durch ihn sogar einen Eindruck von der Lage und Entwicklung der Weltwirtschaft bekomme. Die US-Wirtschaft beeinflusst wesentlich die Weltwirtschaft und damit die europäische Wirtschaft, zu der auch die hiesige Bau- und Grundstoffindustrie gehört.

Zwischen den beiden Indices besteht, schlussfolgere ich, immerhin ein größerer Zusammenhang als zwischen dem Reissack in Fernost und meinem Schuh. Das ist gut, Schlussfolgerungen aus dem Chart sind erlaubt und nicht völlig sinnbefreit. Im oben betrachteten Zeitraum weitet sich der Abstand aus, der Trend beschleunigt sich in den letzten Wochen.

Wie erklärt sich das? Läuft die europäische Grundstoff- und Baubranche besser als der breite US-Markt? Wie wirken sich Zinsentscheidungen der Europäischen Zentralbank und der amerikanischen Fed aus? Welchen Einfluss hat der Krieg in der Ukraine, wie sehr belastet der unterschwellige Konflikt USA/China den US-Index ... oder schiebt er ihn an?

Auf alle diese schweren, richtigen, wichtigen Fragen gibt es zwei Antworten. Die erste ist: Ich weiß es nicht. Die zweite: Niemand weiß es. Der Markt ist ein kybernetisches System, vieles hängt mit vielem zusammen und macht das System so komplex, dass weder Menschen noch die übernächste Generation von ChatGPT es überblicken können. Die Kurse als solche bleiben der beste Systemanzeiger. Das lässt sich auch an der aktuellen Lage illustrieren:

Vorletzte Woche fielen die Notierungen an der Wallstreet. Letzte Woche setzte sich das Gebrösel fort — bis zum Donnerstag (2.3.), da stiegen die Kurse plötzlich auf breiter Front. Am Freitag verstärkte sich der Anstieg, und die ersten Börsianer dachten an eine Rallye … Aber woher kam der Sinneswandel, warum stiegen die Kurse?

Durchschlagende Nachrichten gab es keine. Hinterhergereicht wurden nach Börsenschluss Erklärungen aus der Leichtgewichtklasse:

Fed-Mitglied Raphael Bostic sagte etwas Nettes zu den künftigen Zentralbankzinsen / Die Marktpessimisten waren zu überzeugt, sie mussten ihre Shorts eindecken / Da andere das sahen, kauften sie sich ein, was den Kursanstieg verstärkte …

Analysen geben hier im Nachhinein vor, kurzfristige Kursbewegungen erklären zu können. Manche Analysten wussten sogar schon vorher, was passieren wird — zumindest glaubten sie das hinterher. Aber was am morgigen Montag sein wird … ob die Experten es heute schon wissen?

Ich jedenfalls weiß es nicht. Dennoch gibt mir der Chart ein mittelfristiges Szenario. Die Stärke des Charts ist gerade, dass er nicht vorgibt zu erklären, was kaum erklärbar, da zu komplex für den Menschen ist. Das Szenario entsteht durch das Hintereinandersetzen der Kurspunkte, des besten Anzeigers, den der Markt mir bietet. Die dadurch entstehenden Kursreihen zeichnen Trends. Für einen Trend gilt: Es ist wahrscheinlicher, dass er andauert, als dass er abbricht, wiewohl er irgendwann genau das tun wird.

Runzele ich daraufhin die Stirn und sage mir, das waren bis hierher 600 Worte und dafür ist das Ergebnis mager, dann werde ich am Aktienmarkt wenig reißen. Was nicht schlimm ist, es gibt andere Möglichkeiten, Vermögen zu bilden. Akzeptiere ich den Satz aber, dann bietet mir der Markt größere Chancen als die anderen Möglichkeiten.

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