
Lage & Szenarien vom 12.2.2023
Die getarnte Wohlstandskurve
Von Frank Sauerland
Das ist sie, da oben im Chart: die getarnte Wohlstandskurve. Um sie deutlicher zu machen, habe ich die Kurve mit einer Linie nachgezeichnet. Ein Zahlenmensch wird gleich bemerken, dass beim gezeigten Kursverlauf von Jahresbeginn 2022 bis heute 22 Prozent Verlust entstanden sind. Das hat mit Wohlstand wenig zu tun, eher mit seiner Vernichtung? — Guter Einwand. Bedenkenswert. Aber ich möchte dagegen argumentieren, mit diesem Bild:

Es sind dieselben Indices wie beim ersten Chart, nur ist der betrachtete Zeitraum ein längerer und es entsteht damit eine neue Aussage, der erste Chart stellt sich nicht mehr nur als ein 22 Prozent-Verlustchart dar, sondern auch als eine Anlagechance, die sich gerade bietet.
Jedes Stäbchen stellt im ersten Chart den Kurs eines Handelstages dar. Im zweiten und dritten Chart (folgt unten) steht jedes Stäbchen für eine Handelswoche. Verfolgt wird mit den Kursstäbchen der Soxx-Index. Im Soxx sind die 30 größten US-Halbleiterhersteller versammelt. Namen wie Nvidia, Broadcom und Texas Instruments sind enthalten.
Zum Vergleich habe ich bei den zwei oberen Chartbildern den altehrwürdigen Dow Jones-Index als Linie eingeblendet. Im Dow sind große, etablierte US-Industriewerte enthalten. Ich schaue mir also an, wie sich die Kurse der Hersteller von Computerchips in verschiedenen Zeiträumen entwickelt haben und um mir Trends zu verdeutlichen, riskiere ich ab und zu einen Blick auf den Dow. Sämtliche Kurse laufen auf der rechten Chartseite jeweils bis zum letzten aktuellen Handelsfreitag, 10.2.2023.
Die börsengehandelten Firmenanteile von Halbleiterherstellern gelten zumeist als überteuert. Typisch für die Branche scheint auch ein zyklischer Wechsel zwischen Chip-Überangebot und -Knappheit zu sein, was Börsenturbulenzen und Anlegerstress zur Folge hat. Der Dow dagegen zieht 2022 (oberster Chart) ruhig seine Bahn.
Putins Einmarsch in der Ukraine, die Pandemiefolgen, Powells sich abzeichnende Zentralbankzinswende, Xi Jinpings Taiwan-Rhetorik und Bidens Power-Play gegen Chinas Wirtschaft beeindrucken den konservativen Dow 2022 wenig, vielleicht stützen sie ihn sogar. Mit dem Dow als Richtschnur und etwas Feinabstimmung, einer Übergewichtung bei Energiewerten etwa, ließ sich die eigene Rendite im Anlagejahr 2022 sogar ins Positive hieven, während die Aktienboomer des Pandemiejahres 2021 geradezu abstürzten und die Halbleiterhersteller mitnahmen wie im obersten Bild zu sehen ist.
Bis in den Oktober ging es bergab, dann begann der Wiederaufstieg im Soxx. Auch der Dow gewann im November, konnte aber ab dem Jahreswechsel 2022/23 mit dem Soxx nicht mehr mithalten.
Schalte ich um auf das zweite Bild und schaue mir Soxx und Dow über den Zeitraum der vergangenen zehn Jahre an, so ergeben sich drei zentrale Aussagen.
- Verlieren konnte ich mit keinem Index.
- Im Dow erzielte ich 160 Prozent Gewinn. Industrie schafft Wohlstand.
- Im Soxx waren 720 Prozent möglich. Computer potenzieren Wohlstand.
Wohl wenige Anleger werden den 2020er-Abwärtszacken im Soxx-Index komplett mitgemacht haben. Er wurde von der Covid-Panik verursacht. Auch den heftigen Rückgang 2022 hat vielleicht nicht jeder nervlich durchgehalten und den Verkaufsknopf gedrückt. Was vernünftig sein kann, je nach Anlagestrategie. Es besteht schließlich keine Verpflichtung, üble Verlustphasen voll investiert durchzustehen (22 Prozent im Jahr 2022, siehe oben) oder gar mit wehender Fahne unterzugehen. Nur darf ein clever deinvestierter Investor hinterher, wenn der Sturm sich gelegt hat, den Wiedereinstieg nicht vergessen, sonst ist er kein Investor mehr, sondern ein gezauster Beobachter.
Der oberste Chart zeigt die Kurve, dokumentiert wie der Soxx gegenüber dem gut gelaufenen Dow ins Hintertreffen geraten ist und dabei ist, mit Macht aufzuholen. Der mittlere Chart legt nahe, dass Langzeitanleger sowieso mit Wahrscheinlichkeit kaum verlieren können.
Den genauen Gucker allerdings beschleicht ein Verdacht. Womöglich sind wir schon wieder in einer Übertreibung bei den Halbleitern. Im zweiten Chart steigen die Soxx-Wochenstäbchen Januar/Februar 2023 fast senkrecht in die Höhe. Da wäre jetzt zumindest eine Pause wahrscheinlich.
Ja, das kann sein. Möglich ist immer alles, auch das Gegenteil.
Um mehr Sicherheit bei der Beurteilung der Lage im Sektor zu bekommen, wechsele ich ein drittes Mal die Perspektive. Ich bleibe beim Soxx und dem 10-Jahreszeitraum, nehme aber den Vergleichsindex Dow aus dem Chartbild heraus, um die Chartdarstellung auf logarithmisch umzustellen zu können.

Die logarithmische Kursdarstellung ist manchmal besser geeignet für Langfristtrenddarstellungen, auf jeden Fall bringt sie eine neue Sichtweise. So auch hier, die 2023er Januar/Februar-Senkrechte verschwindet, ein stetiger Aufwärtstrend wird sichtbar. Gedanklich verlängere ich ihn. Das ist mein Szenario.
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