
Lage & Szenarien vom 5.2.2023
Das große Bild
Von Frank Sauerland
Was tun, wenn die Party schon am Höhepunkt zu sein scheint? Das richtige Geld am Aktienmarkt bereits verdient worden ist von den Schnellmerkern und man - wieder mal - zu spät dran ist?
Die Antwort steckt im großen Bild, das oben zu sehen ist, und die Antwort ist nicht bitter, sie ist konstruktiv. Zu sehen ist der Kursverlauf des Stoxx 50. In dem Index sind 50 große europäische Aktien versammelt. Er kann als Anzeiger für den europäischen Markt begriffen werden. Jedes Stäbchen stellt einen Handelstag dar. Der Chart beginnt mit dem Januar 2022 und endet mit dem derzeit letzten Handelstag, dem Freitag, 3.2.2023.
Ich blende die schlimmen Nachrichten aus, die uns 2022 beschäftigt haben, ich vergesse die Meinungen, die Zinsen, Powell, Biden, Lagarde … Alles hat der Markt eingerechnet, verarbeitet und für mich im Chart als harten, vergangenen Kurs eingetragen. Blinzele ich nun, dann sehe ich einen Kursbogen. Ich zeichne ihn ein.
Grob gesprochen sind wir bei den europäischen Aktien wieder da, wo wir vor einem Jahr waren. Ist das also ein Null-Summenspiel gewesen? Nein. — Was die Kurse des Index’ zeigen, sind die gesammelten Entscheidungen zehntausender (Groß-)Investoren, die über Abermillionen von mühsam verdienten Anleger-Euros und -Dollars gebieten. Professionelle Großinvestoren sind keine Dummköpfe, sie sind oder sie beschäftigen eine Intelligenzelite.
Ich bin in der luxuriösen Situation, durch den Chart den intelligenten Profis bei der Anlagearbeit über die Schulter schauen zu dürfen. Die Damen und Herren tun mir sogar den Gefallen, ihre Individualität abzulegen, bzw. ihre Einzigartigkeit unbewusst in ähnlicher Richtung auszurichten, also zu einer Intelligenzmasse zu werden, was mir die Sache vereinfacht.
Ich werde mir nicht einbilden, schlauer zu sein als die ausgebildete Profimasse. Ich schaue zu, was sie macht … und mache es nach. Wo der gezeichnete Bogen nach unten geht, da investieren sie nicht. Wo der Bogen ansteigt und die Profis mehrheitlich anfangen zu kaufen, da werde ich aufmerksam. Das ist kein Hexenwerk. Schlau sind die anderen, ich akzeptiere das und reagiere entsprechend.
- Reaktion am Sonntag, dem 23.10.2022. Im Chart mit (1) markiert. Mir fällt eine Stabilisierung auf, ich schreibe davon, es wäre der Moment, etwas zu riskieren.
- Reaktion am Sonntag, dem 11.12.2023. Im Chart mit (2) markiert. „Geht es (…) aufwärts (…), so wird der Anstieg nicht gedämpft durch Anleger, die kürzlich erlittene Verluste heilen wollen (…) dann kann es schnell gehen und der Index markant in die eingeschlagene Richtung marschieren. Der quicke Anleger sattelt auf.” Kurz darauf ging es tatsächlich aufwärts. Handlungs- und Geschwindigkeitsanweisung hatte ich mir bereits gegeben.
Schaue ich im großen Bild nun die Lage an, so bemerke ich, das Christine Lagarde ihren Berater ausgewechselt hat, und die Chefin der Europäischen Zentralbank neuerdings Zinserhöhungen favorisiert. Während Jerome Powell, Lagardes US-Amtskollege von der Federal Reserve, in der abgelaufenen Woche signalisierte, zwar weiterhin die Zinsen erhöhen zu wollen, aber ein Ende des Zyklus’ dürfte wohl absehbar sein. — Wiederum kann ich viel interpretieren, welche Wirkungen solche Nachrichten haben werden. Ich kann mir Experten anhören: Wir würden doch noch in eine Rezession rutschen oder wir wären schon drin … Die Inflation ginge jetzt zwar zurück, aber es käme letztlich auf die Löhne an, auf den Rückgang des Fachkräftemangels und außerdem … die Inflation stiege in der zweiten Jahreshälfte und die Zweitrundeneffekte und die Kriegsgefahr rund um Taiwan und das Geldmengenwachstum … -
Bevor mir der Kopf schwindelig wird von den ganzen Überlegungen, dimme ich das alles herunter und schaue, was die Profis daraus machen, was sie für Schlussfolgerungen ziehen.
Die dürfen sogar falsch sein, die Schlussfolgerungen. Die Profis bewegen so viel Geld, dass ihre Schlüsse dadurch am Markt trotzdem wahr werden, und für meine Aktienanlage kommt es allein auf den Markt an.
Die intelligente Masse wird entweder durchziehen, also weiter hochkaufen. Oder sie wird verschnaufen, da seit Oktober 2022 ein ordentlicher Anstieg geschafft worden ist. Das ist das wahrscheinliche Intelligenzmassenverhalten für mich.
Äh, ist das jetzt nicht reichlich schwammig?!
Aber von wegen, genauer geht es sowieso nicht, da es sich um unbekannte Zukunft handelt, und der Wert der Wahrscheinlichkeitsaussage steckt auch und vielleicht besonders in dem, was sie nicht erwähnt, also für unwahrscheinlich hält: nämlich dass der Indexkurs auf den eingezeichneten Kurventiefstand zurückfällt. Natürlich ist das möglich, aber es ist für mich in nächster Zeit unwahrscheinlich, und wenn es passieren sollte, ist genug Wegstrecke da, um beiseite zu treten und Risiken zu begrenzen. Wenn die Abwärtsrisiken beherrschbar sind, es in einer Range seitwärts oder sogar aufwärts geht, dann darf ich mittelfristig zuversichtlich sein. Das ist mein Szenario.
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