
Lage & Szenarien vom 15.1.2023
Die DAX-Rallye
Von Frank Sauerland
Am 11.12.2022 schrieb ich an dieser Stelle sinngemäß zum deutschen Leitindex DAX: „Wenn jetzt die Entscheidung fällt, dann kann es schnell gehen.”
Die Entscheidung fiel und es ging schnell.
Der DAX hat seit Jahresbeginn 7,5 Prozent dazugewonnen. Wer flugs reagierte, sitzt auf satten Gewinnen. Aber egal, ob Gewinner oder Zögerer, beide stehen vor demselben Problem: Wie geht es nun weiter?
Dazu schaue ich mir den Chart oben an — und bei der Gelegenheit ein kurzer Einschub, da ich bei Facebook immer wieder zu hören bekomme: „Schon in Ordnung, ist interessant. Aber Charttechnik ist so gar nicht meins. Das ist doch Kaffeesatzlesen.”
Zunächst bin ich mir nicht sicher, ob ich mich mit dem Titel „Charttechniker” schmücken dürfte. Letztlich bin ich nur ein Privatanleger, der versucht, etwas Menschenverstand bei der Geldanlage zu benutzen. Ein Chart kann dazu ein praktisches Hilfsmittel sein, welches in grafisch aufbereiteter Form vergangene Kurse darbietet. Etwas weniger kaffeesatziges als alte Kursnotierungen von Aktien kann ich mir kaum vorstellen. Kurse sind harte, oft genug schmerzhafte Realität.
Charts haben zudem eine Sicherheitsbegrenzung, immer auf der rechten Seite. Es ist der jeweils letzte Handelstag, danach geht es nicht weiter. Sie bilden nur ab, was ist. Sie zeigen eine objektive Lage.
Oft begreife ich die „Zacken” und „Linien” von Charts als Ausdruck von Massenbewegungen. Viele Menschen fällen in definierten Zeiträumen ähnliche Entscheidungen, es entstehen Gruppen und Mehrheiten, welche dann die Kurse bewegen. Forsche ich nach Gründen für solche Gruppenbildungen, entstehen daraus Szenarien, wie eine Zukunft sich entwickeln kann. Gewiss ist beim Bau eines Szenarios gar nichts, gewiss ist nur das Sparbuch und niemand ist verpflichtet, sich Aktien anzutun, die eines gerade bestimmt nicht liefern: Gewissheiten. Dafür bringen Aktien ab und zu eine höhere Rendite als das Sparbuch und sie fordern heraus, sich mit der Welt auseinanderzusetzen.
Der Chart oben dokumentiert, dass sich der deutsche Leitindex DAX in diesem Jahr bisher besser entwickelt als der amerikanische Leitindex S+P 500.
Bin ich bereit, mich tiefer mit dem Chart zu beschäftigen, dann kann ich noch weitere Erkenntnisse herausziehen. Ich bewege mich dabei immer auf „sicherem” Terrain, denn es ist Vergangenheit. Da Börsianer jedoch vor allem die Zukunft interessiert, wird es immer dann interessant, wenn sich aus den Vergangenheitserkenntnissen ein Zukunftsszenario aufdrängt — welches natürlich „unsicher” ist.
Wir betrachten den DAX im Chart oben in seiner realistischeren Ausformung als Kurs-DAX, die Dividenden werden bei ihm in die Kursperformance nicht wieder eingerechnet. Die DAX-Stäbchen sind damit der Linie des S+P 500 vergleichbar gemacht, denn der S+P 500 wird auch ohne Dividenden berechnet.
Beide Indices starten links zu Beginn des Jahres 2022 bei 0 Prozent. Sie schließen mit dem derzeit letzten Handelstag, dem Freitag, 13.1.2023. Beide bescheren dem Anleger in dem Zeitraum viel Kopfzerbrechen und kräftige Minusrenditen. Ein Sparbuch wäre besser gewesen … Aber darum geht es hier nicht. Spannend wird der Chart mit dem Beginn des Oktobers 2022. Ich habe da den Pfeil 1 gesetzt.
Beide Indices haben dort ihren Tiefpunkt.
Greife ich nun zur beigelegten Lupe (Scherz), dann sehe ich bei beiden Indices im Oktoberanfang einen Kursprung. Der Sprung ist ungefähr gleich hoch, aber der S+P springt von höherem Niveau und landet damit auch höher. Die Indices fallen zurück, der S+P stärker als der DAX und beim sich anschließenden Aufstieg löst sich der DAX vom S+P. Im November und Dezember entwickelt er sich besser als der US-Index. Bemerkenswert ist der markante Rücksetzer im Dezember (mein zweiter Pfeil), denn hier verliert der S+P stärker und hält sich anschließend schlechter als der DAX. Im Nachhinein ist das als Ankündigung zu werten … Denn im Januar treten beide Indices an zum Aufstieg. Es ist wie häufiger, der Jahreswechsel ist auch eine Sentiment-Wegscheide. Sahen Anleger im Vorjahr die Risiken, so sind sie nun entschlossen, das Positive in den Vordergrund zu rücken. Mit frischem Optimismus kaufen sie den DAX hoch, der US-Index kann nicht mithalten; er verlor stärker, er gewinnt schwächer.
Wie gesagt, über 7 Prozent hat der DAX seit Jahresanfang dazugewonnen, dass ist ein durchschnittlicher Jahresgewinn innerhalb von zwei Wochen. Viel kann also nicht mehr kommen …
Oder doch?
Und ob. Natürlich ist jetzt ein Verschnaufen, ein Rücksetzer wahrscheinlich. Aber die Händler schauen in die Zukunft, sie versuchen, die Wirtschaftslage und die Firmengewinne der nächsten Monaten in die Kurse hinein zu kalkulieren. Der DAX hat bei einem übergeordneten Trend zur Reindustrialisierung, zur Heimholung von Industrie, um unabhängiger zu werden von z.B. China, eine interessantere Zusammensetzung als der S+P 500, bei dem Big Tech-Unternehmen tonangebend sind, welche mit Industrie weniger, mit Bildschirmarbeitsplätzen und analytischer Software mehr zu tun haben. Doch Glotzen und Analysieren könnte in den nächsten Monaten weniger angesagt sein als Klotzen und Betonieren.
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