
Lage & Szenarien vom 18.12.2022
Ausstiegspunkte finden
Von Frank Sauerland
Der Kurs ging steil in Zeiten der Pandemie: Cathie Woods ETF ARK Innovation machte Anleger reich, und Cathie Wood als Managerin des ETFs avancierte zur Star-Investorin, fast zu einem Guru mit gläubiger Gefolgschaft. Man glaubte an ihr Mantra: Sie investiere in Unternehmen, welche das Potential haben, die Welt zu verändern.
Die drei größten Positionen im ARK Innovation sind nach derzeit bekannten Daten Zoom Video, Tesla und Exact Sciences. - Die Kurse von Zoom- und Tesla-Aktien halbierten sich überschlägig in diesem Jahr. Exact Sciences erlitt rund 42 Prozent Kursverlust. Das hinterlässt Spuren bei der Performance des ARK Innovation.
Der ETF, der neben den genannten Aktien weitere Anteile von Growth-Technologie-Unternehmen im Portfolio hält, verlor in diesem Jahr bisher rund 63 Prozent. Während der amerikanische S+P 500-Index, der durchaus technologielastig aufgestellt ist, seit Oktober immerhin rund 9 Prozent zulegte, arbeitet Cathie Woods ARK bestenfalls an einer Bodenbildung.
Bisher woodgläubige Investoren werden nun unruhig. In den ersten fünf Monaten des Jahres steckten sie laut veröffentlichten Zahlen noch weitere 1,89 Milliarden Dollar in den ETF. Nun aber schwindet offenbar der Enthusiasmus, Investorengeld fließt ab. Allein am 30. November 2022 sollen Woods Zweifler 146 Millionen Dollar aus dem ETF abgezogen haben. Das wäre der größte Tagesabfluss in diesem Jahr.
Schadenfreude ist fehl am Platz. Der ETF kann ein grandioses Comeback feiern, niemand kennt die Zukunft. Jedoch darf ich als rationaler Anleger durchaus aufmerksam werden, wenn die Anlageidee eines Investmentmanagers - und sei die Person auch noch so berühmt - dauerhaft vom Markt negiert wird. Dann, besser noch vorher, sind eigene Gedanken nötig. Statt festem Glauben und bangem Hoffen.
Der Chart oben verfolgt den Kurs des Ark Innovation seit 2018 bis zum derzeit letzten Handelstag (16.12.2022) mit Wochenkerzen. Als Vergleichsmaßstab habe ich den marktbreiten US-Index S+P 500 als Linie eingeblendet. Hätte ich damals in den S+P 500 investiert und bis heute den Index - wohl in Form eines ETF - gehalten, so hätte ich einen Kapitalzuwachs von gut 40 Prozent erreicht, allerdings auch ordentlich Nerven gelassen, zum Beispiel beim Weihnachtsabsturz des Jahres 2018 und der Coronapanik 2021. Der ARK Innovation hätte mich ebenfalls Nerven gekostet - und zusätzlich Kapital: Aktuell sind es rund 10 Prozent Verlust auf eine Geldsumme, die ich seit 2018, also seit vier Jahren, in dem ETF festsitzen hätte.
Die entscheidenden zwei Fragen, die sich für mich als Kapitalanleger stellen angesichts des Kursdesasters beim ARK Innovation: Kann ich so etwas voraussehen? Und wenn ich es nicht kann, kann ich mich dennoch davor schützen?
Antwort auf Frage 1: Ich kann es kaum voraussehen.
Antwort auf Frage 2: Ich kann mich dennoch schützen.
Und zwar auf recht mechanische und damit zuverlässige Weise. Das funktioniert nicht nur bei diesem ETF, es kann mir als Modell dienen auch für einige andere aktienbasierte Anlagen. Im Chart oben habe ich zwei parallele Linien eingezeichnet. Bin ich in dem begeisternden Aufstieg des Jahres 2020 in dem ETF engagiert, so läuft alles bestens, ich fliege mental zu den Sternen. Ich erlebe dann den brutalen Absturz im ersten Quartal 2021, leide mich durch das gesamte Jahr, und all das ist für einen mittel- oder langfristig orientierten Anleger vertretbar. Als jedoch der Kurs im Herbst/Winter 2021 nach unten rauscht, kurz vor dem Jahreswechsel noch mal versucht, Höhe zu gewinnen … da habe ich aufmerksam zu werden.
Denn in dem Moment werde ich gedanklich vielleicht ein erstes Mal diese zwei Linien ziehen. Sie zeigen mir eine Range, eine Kursbreite, welche der ETF nun verlässt, leider nach unten. Ich kann die Linien auch an leicht anderen Stellen ziehen, wichtig ist für mich letztlich nur, dass ich merke, dass die Anlage auch auf langfristige Sicht droht, ihre Aufwärtsrichtung zu verlieren.
Ich kann nachforschen, ob es am Investmentmanager liegt, an gesellschaftlichen Trends, an der Fed, Zinsen, Rezessionsgefahr, an was auch immer: Es schlägt sich alles im Kurs nieder, insofern ist er die Richtschnur und zählt.
Wenn die Range gerissen ist, werde ich (teil)verkaufen. Das schmerzt, denn ich sehe, welche Gewinne möglich gewesen wären, wo der Kurs schon gewesen ist und dahin wird er doch zurückkehren … Jedenfalls hoffe ich das. Leider aber funktioniert ein Trend nicht nur in Aufwärtsrichtung, sondern auch in Abwärtsrichtung. Die Wahrscheinlichkeit ist da, dass es weiter nach unten geht, wenn die Richtung einmal etabliert ist.
Habe ich es dennoch nicht übers Herz gebracht zu verkaufen, so bestraft mich der Markt mit dem schärfsten Züchtigungsmittel, das ihm zur Verfügung steht: mit weiteren Verlusten. Ich habe beim Chartbeispiel oben den Pfeil auf eine markante Stelle gesetzt. Dort schneidet der ETF-Kurs den Kurs des Index’ und gleichzeitig ist dort das Ende der diesjährigen Frühjahrsstabilisierungsphase beim ETF erreicht. Nach den heftigen Verlusten konnte ich im Frühjahr womöglich denken, Cathie Wood hätte die Lehren begriffen, welche der Markt ihr erteilt hatte, sie änderte nun ihre Anlagestrategie …
Offensichtlich war dem nicht so und der Kurs nahm den Abwärtstrend wieder auf. Dort beim Pfeil hätte ich spätestens … nein zuspätestens müsste es heißen, jedenfalls hätte ich dort als Langfristinvestor die Papiere losschlagen sollen. Tat ich es immer noch nicht … dann hatte ich den weiteren Verlauf verdient.

Die Chartansicht mit Tageskerzen, die eher bei kürzeren Betrachtungszeiträumen nützlich sind, bestätigt mir, dass es zur Zeit wenig Gründe gibt für mich, den ARK Innovation als Anlage in Betracht zu ziehen. Die Kurskerzenfolge hat die rote Linie des Jahresvolumenprofils unterschritten. Die Balken links zeigen, wie stark das Handelsvolumen auf den jeweiligen Kursebenen 2023 registriert wurde. Das stärkste Volumen wird zusätzlich mit der roten Linie markiert. Der ETF scheint keine Aufwärtskraft entwickeln zu können, kraftlos wimmert er dem Jahresende entgegen.
Das nun ist alles Rückschau und einwenden ließe sich: Hinterher ist immer gut schnacken.
So ist es auch und zum Glück. Hinterher lässt sich gut schnacken, weil man es dann besser weiß, für die Zukunft. Die Beobachtungen im Chart, die Entwicklungen von Kursbreiten über Wochen und Monate hinweg, das Schneiden von Kurslinien sind Hinweisgeber: dass ich das Hoffen aufgebe und den Verstand einschalte, eine Entscheidung oder eine gestaffelte Entscheidung treffe. Das Desaster der Cathie Wood kann ich für mich zum Erkenntnisgewinn wandeln.
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