
Lage & Szenarien vom 6.11.2022
Verkaufen lernen
Von Frank Sauerland
In sieben Wochen ist Weihnachten. Das erschreckt. Die Zeit rast. Lediglich zwei Börsenmonate hat das Jahr noch. Ich drehe ihnen den Rücken zu und schaue zurück auf die bereits abgelaufenen zehn Monate des Jahres: Auch hier ist Erschrecken.
Es ist ein lehrreiches Erschrecken und die Lehre heißt: Lerne Verkaufen.
Die obige Finviz-Marketmap macht das augenfällig. Sie erläutert und beweist. Versammelt sind dort die großen US-Aktienunternehmen ( = S+P500), gruppiert in ihre Sektoren. Je größer das Unternehmen, desto größer ist sein Kasten in der Grafik. Eingestellt habe ich die Marktkarte auf „prozentuale Kursentwicklung vom Jahresbeginn an bis heute”. Je besser es für ein Aktienunternehmen gelaufen ist, umso grüner ist sein Kasten. Je schlechter, desto röter.
Die Karte ist einfach. Ihre Aussage ist klar. Auffällig ist die Ballung großer roter Kästen im oberen linken Drittel der Karte. Unter den dort verstärkt sich konzentrierenden Kästen lässt sich gedanklich eine diagonale Linie ziehen. Oberhalb der Linie ist Depotkatastrophengebiet — bezogen auf den betrachteten Zeitraum. Unterhalb der Linie lassen sich immerhin grüne Inseln ausmachen.
Rechts außen leuchtet der Sektor Energy hellgrün. Darunter, grün und sehr klein, dafür mit spektakulären Gewinnen, versteckt sich der Untersektor Agriculture Inputs (Dünger) im Bereich Basic Materials. Auch Teilbereiche von Defence und Healthcare entwickelten sich gut.
Nun könnte ich mir sagen oder andere könnten einwenden: Okay, hinterher ist immer gut reden. Oder Neudeutsch: Hätte, hätte Fahrradkette. Ein derartiges kurz angebundenes Urteil klingt klug.
Auch als naseweiser Facebook-Kommentar macht es sich gut. Aber es wäre zu kurz gesprungen, die Rückschau-Marketmap hat mehr zu bieten.
Sie lehrt: zu akzeptieren. Sie fordert auf, mir bewusst zu machen, wie bescheiden ich sein sollte. Aus Glauben, Hörensagen und eingebildeten Erkenntnissen entwickelte Überzeugungen bezüglich des Marktes und der Kurse begrenzten mich und mein Börsenhandeln nur. Den Sektoren Energy oder Technology oder Consumer Defensive ist es zum Beispiel egal, was ich oder Social Media-Gruppen oder Politiker oder Meinungsführer in Medien über sie denken und was sie prophezeien.
Die Börsenkurse machen Hunderttausende von Investoren, welche intelligenter sein können und sein werden als ich. Sie gebieten über mehr Analysekraft und Geld als ich, und sie verstehen es, mit dem Geld, ihrem Research und ihrer Intelligenz umzugehen. Sie scheren sich nicht um hiesige Meinungsführer oder Social Media-Gruppen. Hinzu kommt und das ist wunderbar: Sie handeln nicht im Geheimen. Sie sind kein verschwiegener Club, keine Verschwörer. Offen tragen sie ihre Ansichten zu Markte: mit ihren Dollars oder ihnen anvertrauten Dollars.
Es sind so viele Dollars, dass sie nicht alle auf einmal investieren können. Außerdem sind auch die schlauesten Großanleger tief in ihrem Inneren unsicher. Was kein Wunder ist, da die Zukunft ebenfalls verdammt unsicher ist. Also zögern sie, sind vorsichtig, stückeln ihre Investitionen. Das müssen sie sowieso bei den Mengen an Geld, die sie in den Markt zu geben haben. Oder aus ihm herausziehen müssen, Stichwort Fed.
Ihr Geld hinterlässt eine Spur. Ihr habe ich zu folgen und nicht meinen kleinen Überzeugungen. Es gibt andere, die wissen mehr, die können mehr und sie zeigen es mir. Hier:

Die gleiche Karte wie oben, nun habe ich auf „Kursentwicklung der letzten 6 Monate” gestellt. Die Spur des Geldes ist offensichtlich. Die Verlierer und die Gewinner sind keine Überraschungskandidaten, es sind die üblichen Verdächtigen, sie fielen bereits in der obersten Karte auf. Das bedeutet: Ich konnte im Verlaufe des Jahres bereits Konsequenzen ziehen, Verluste begrenzen und ein Fundament für Gewinne legen. Ich brauchte nur gelernt haben: zu akzeptieren, zu kaufen und zu verkaufen.

Ich wiederhole das Verfahren, nun ist die „Kursentwicklung der letzten 3 Monate” sichtbar gemacht. Das ist keine Spur des Geldes, das ist ein Trampelpfad. Er ist breit ausgetreten und mit grünen und roten Schildern ausgestattet: „Bitte hier entlang” sowie „Katastrophengebiet, betreten verboten”.
Ich habe mich nur danach zu richten. Verkaufen lernen. Kaufen lernen. Bezogen auf den jeweils betrachteten Anlagezeitraum.
Lage: Die Inflation ist noch zu hoch. Die US-Zentralbank Fed versucht das Soft-Landing. Ihr Chef Jerome Powell erhöhte in der abgelaufenen Woche zum vierten Mal in Folge die Leitzinsen (um 0,75 Prozentpunkte). Aber Powell will nicht überziehen und durch die Erhöhungen die Konjunktur abwürgen. So hoffen Aktieninvestoren auf einen zahmeren Auftritt von Jerome Powell bei seiner nächsten öffentlichen Leitzins-Verkündung im Dezember. Entsprechende Andeutungen machte der kluge Mann.
Szenario: Die Marketmap gibt das Szenario vor. Big Tech ist out. Angesichts der Lage ist es wahrscheinlich, dass die (Kurs-)Bäume nicht in den Himmel wachsen.
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