Aktien Blog 2022Ansichten eines Aktienanlegers
Pfeil 1 und Pfeil 2 beim S+P 500: Zeigen die Aktien-Trends auf unterschiedlichen Zeitebenen. Der Punkt: Handelsende Freitag. Linie: Unterstützung.

Lage & Szenarien vom 23.10.2022

Deutscher Aktienmarkt:
Wie gut ist er im Vergleich zum US-Markt?

Von Frank Sauerland

Die Probleme des Wirtschaftsstandortes Deutschland sind in den üblichen Medien von den üblichen Verdächtigen behandelt worden, in jeder gewünschten Tiefe und Tonlage.

Als Investor, der sich über Lage und Szenarien des deutschen Aktienmarktes klar werden möchte, nehme ich solche Äußerungen zur Kenntnis, speichere sie im Hinterkopf, so dass vorn wieder alles frei ist und greife mir einen Chart oder zwei. Charts haben Vorteile gegenüber Wirtschaftsstandortproblemschilderungen:

  • Sie wollen mich nicht von ihrer Meinung überzeugen. Sie haben keine.
  • Sie dokumentieren Vergangenheit in der harten Währung der Massenentscheidung.
  • Sie zeigen offen, dass sie die Zukunft nicht kennen. Ihre Aufzeichnung endet derzeit am Freitag, dem 21.10.2022.

Meine Aufgabe als privater Aktienanleger ist zu entscheiden, ob es für mich ratsam ist, mich im deutschen Aktienmarkt zu engagieren oder ob woanders womöglich bessere Chancen bei geringerem Risiko existieren.  Um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, benötige ich einen Maßstab: Ich habe den deutschen Markt mit einem nicht-deutschen Markt zu vergleichen, sonst ist kaum eine Standortbestimmung möglich.

Als Maßstab wähle ich den US-Aktienmarkt. Die US-Wirtschaft ist noch immer die weltweit einflussreichste. Der US-Börsenmarkt ist regulierter, transparenter und muss weniger überraschende staatliche Eingriffe fürchten als der ebenfalls starke chinesische Aktienmarkt.

Die Stäbchen- oder Kerzenlinie beim obigen Chart ist der iShares MSCI Germany Index Fund. Er ist in Dollar notiert und dadurch vergleichbar mit der zweiten, farbigen Linie im Chart, welche den ebenfalls in Dollar notierten S+P 500 verfolgt.

Der MSCI Germany ist ein ETF, welcher sich, grob gesprochen, vor allem aus Dax- und MDax-Werten zusammensetzt. Er bildet den deutschen Aktienmarkt umfassend ab. In seinen Kurs werden die Dividenden nicht wieder eingerechnet, ähnlich wird beim S+P 500 verfahren. Dieser versammelt die 500 großen US-Aktienunternehmen und gibt mir einen Gesamteindruck vom Zustand der US-Wirtschaft, gesehen durch die Beurteilungsbrille ihrer Investoren.

Das Chartbild zeigt beim MSCI Germany Wochenkerzen, jede Kerze repräsentiert eine Börsenwoche. Links geht es 2018 los. Ich habe rechts als Skala Prozentwerte eingestellt, man könnte auch Dollarwerte einstellen, das ist Geschmacksache. 2018 startet mit 0 Prozent. Bis vorgestrigen Freitag erlitten Anleger des MSCI Germany einen Verlust von 36 Prozent, Anleger im S+P 500 machten einen Gewinn von 36 Prozent.

Markant zu sehen ist der Corona-Kurseinbruch vom Frühjahr 2020 und der Wiederaufstieg vor allem der US-Wirtschaft. Wie der zustande kam, wäre eine Abhandlung wert. Aber im Rahmen dieser kleinen Sonntagmorgenanalyse benötige ich sie nicht. Es reicht zu sehen, um entscheiden zu können.

Zu sehen ist auch, dass den deutschen Unternehmen ein ähnlicher Post-Covid-Wiederaufstieg wie den Amerikanern misslang. Eher gelang ihnen ein eindrücklicher Abstieg, besonders in der Endphase des Chartbildes. Das finde ich interessant, da gucke ich genauer hin.

Pfeil 1 und Pfeil 2 beim S+P 500: Zeigen die Aktien-Trends auf unterschiedlichen Zeitebenen. Der Punkt: Handelsende Freitag. Linie: Unterstützung.

Im zweiten Chartbild zu sehen sind dieselben Kandidaten, diesmal starten sie erst in der Woche vor dem Corona-Absturz. Wer ein wirklich schlechtes Händchen hatte, aber Nerven wie Drahtseile: also direkt vor Corona kaufte und bis letzten Freitag durchhielt, der erzielte beim S+P 500 (Linie) eine Rendite von 8 Prozent. Im deutschen Aktienuniversum (Kerzenlinie) machte er einen Verlust von 28 Prozent.

Markant ist in dem Chart das Abknicken der Deutsch-Aktienkurve im Sommer 2021. Der US-Markt wechselt den Trend erst sechs Monate später, zum Jahreswechsel 2021/22.

Als Investor brauche ich nach Ursachen nicht unbedingt zu forschen. Es reicht, Trendwechsel zu registrieren. Natürlich sehe ich sie nicht in dem Moment, da sie passieren. Das brauche ich auch nicht, nötig ist nur der bewusste Blick zurück und dann das Akzeptieren, dass ein neuer Trend sichtbar geworden ist. Falsch wäre, wenn ich einfach „drin bliebe”, obwohl ich den Trend begriffen habe, da die Wahrscheinlichkeit einer Trendfortsetzung höher ist als die eines Trendbruches.

Pfeil 1 und Pfeil 2 beim S+P 500: Zeigen die Aktien-Trends auf unterschiedlichen Zeitebenen. Der Punkt: Handelsende Freitag. Linie: Unterstützung.

Der dritte Chart beginnt mit dem Jahreswechsel 2021/22, deutscher und US-Markt laufen beide abwärts, allerdings verfällt der Kurs beim MSCI Germany (Kerzendarstellung) schneller. Zum Schluss ist bei beiden Kursverläufen eine Abschwächung des Abwärtstrends, vielleicht sogar eine Stabilisierung erkennbar.

Ich kann jeden Chart begreifen als individuell zugeschnittenen Anzeiger für Anleger, die unterschiedliche Haltezeiten planen für ihre Aktien.

  1. Oberster Chart, Haltezeit langfristig, mehrmonatig, auch mehrjährig.
  2. Mittlerer Chart, Haltezeit mittelfristig, monatlich oder mehrmonatig.
  3. Unterer Chart, Haltezeit kurzfristig, mehrtägig, wöchentlich.

Ich wollte die Antworten, welche die einzelnen Charts geben, in der Aufzählung jeweils dahinter schreiben, aber die Antworten sind so offensichtlich, so banal, dass ich mich kaum traue, sie zusätzlich aufzuschreiben. Wenn ich einmal die Charts nach geplanten Haltedauern aufbereitet habe, alle Nachrichten und alles Meinen in den Medien beiseite geschoben habe, dann sind die Antworten augenfällig, jeder Chartbetrachter sieht sie (okay, nun doch ein paar Worte):

  1. Gnadenlose Minus-Performance des deutschen Marktes seit 2018. Das ist nicht der erfolgversprechendste Ort für längerfristige Investitionen meines privaten Kapitals.
  2. Abknicken der deutschen Aktienkurse im Juni 2021, seitdem ein sich verstärkender Abwärtstrend. Die Reißleine als monatsorientierter Investor werde ich spätestens bei dem heftigen Verfall im Frühjahr 2022 (lange rote Kerze) gezogen haben. Eine Rückkehr in den Markt drängt sich noch nicht auf.
  3. Dieselbe Underperformance wie in den vorherigen Charts, aber die höhere Auflösung lässt eine Abschwächung des Trends zur Underperformance im Oktober erkennen; MSCI Germany und S+P 500 laufen fast parallel, der deutsche Markt hat nahezu die Chance, minimal stärker zu sein. Als Kurzfrist-Anleger könnte ich etwas riskieren.

„Riskieren” ist der richtige Ausdruck. Je kürzer die Anlagedauer, desto risikobehafteter wird sie. Je länger, desto klarer ist der Blick.

Als Bürger des Landes kann ich mir Gedanken machen, warum die Kursentwicklung so ist wie geschildert, was das über das Land aussagt. Als Politiker werde ich versuchen, die Situation zu verbessern. Als Privatanleger fälle ich Entscheidungen, wo ich mein verdientes Geld am besten anlege. Meine Versuche, die letztgenannte Aufgabe zu lösen, schildere ich in Lage & Szenarien.

Immer sonntags vor der anbrechenden Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarienhier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben. — Lebenspraktischer Hinweis für Inhaber eines Email-Accounts von T-Online oder GMX: Die zwei Anbieter unterlassen es in den meisten Fällen, meine automatische Bestätigungsmail auf deine Newsletteranmeldung in dein Email-Postfach zu legen. Ohne einen Klick deinerseits auf den Button in der (nicht zugestellten) Bestätigungsmail bist du nicht auf meinem privaten Verteiler, erhältst kein sonntägliches Lage & Szenarien. Bitte melde dich in solch einem Fall formlos per Email bei mir, ich setze dich von Hand auf die Liste.