Aktien Blog 2022Ansichten eines Aktienanlegers
Pfeil 1 und Pfeil 2 beim S+P 500: Zeigen die Aktien-Trends auf unterschiedlichen Zeitebenen.

Lage & Szenarien vom 9.10.2022

Der Fed-Faktor

Von Frank Sauerland

Die Lage ist einfach. Der Markt will nach oben. Aber die Fed lässt ihn nicht.

Die Fed, also die US-Zentralbank, will die Zinsen erhöhen, um die ausufernde Inflation einzudämmen, und das belastet die Aktienkurse.

Marktteilnehmer stellen sich nun jeden Tag erneut die Frage, ob die Fed ihr Vorhaben weiterhin vorantreiben wird, oder ob sie davon ablässt, da die Nebenwirkungen zu groß werden, die Wirtschaft also in eine Rezession rutscht.

  • Am Montag und Dienstag der gerade abgelaufenen Handelswoche glaubte eine Marktmehrheit, die Fed würde nachgiebiger, sie würde "weich". Sofort stiegen die Kurse kräftig.
  • Am Mittwoch und Donnerstag wartete man auf die US-Arbeitsmarktzahlen, welche am Freitag veröffentlicht würden. Die Kurse stagnierten.
  • Am Freitag kamen die Zahlen, sie waren „zu gut”. Schlussfolgerung: Die Fed würde weiter hart bleiben. Die Kurse fielen.

Denn 263.000 Arbeitsplätze, die im September zusätzlich in den USA geschaffen wurden, bedeuten im Börsianer-Denk: Die US-Wirtschaft brummt immer noch zu gut, die Inflation wird weiter hoch sein und die Fed wird deswegen weiter die Zinsen erhöhen wollen, was wiederum schlecht für Aktien ist, also bauen wir besser Aktienbestände ab. Die Notierungen geben nach.

263.000 zusätzliche Arbeitsplätze im September sind weniger als die 315.000 geschaffenen Arbeitsplätze im August. Im ersten Halbjahr waren es im Monatsdurchschnitt 400.000 Arbeitsplätze. Die bisherigen Zinserhöhungen wirken also. Nur wirken sie vielleicht noch nicht „gut genug”.

Die geschilderte Lage erlaubt es mir als Anleger, eindeutige Szenarien zu bauen. So oft kommt das an der Börse nicht vor, häufig ist die Lage eher unübersichtlich. Letzte Woche schilderte und chartbebilderte ich einen Mechanismus für Aktiengewinne aus dem Ohrensessel heraus und fragte, ob ich erklären sollte, wie ich die Erkenntnisse, die der Mechanismus ermöglichte, in konkrete Handlungen am Markt umsetze.

Viele Leser schrieben, meine konkrete Umsetzung des Mechanismus würde sie interessieren. Die aktuelle, „einfache” Lage ist die ideale Situation für eine beispielhafte Umsetzung:

Dazu frage ich mich, wie lange ich mein Geld in Aktien anlegen will. Das ist der entscheidende Schritt zum Anlageerfolg. Denn je nach vorgesehener Anlagelänge gibt ein Chart unterschiedliche Antworten. Lausche ich auf keine der Antworten oder stelle mir gar die Frage nach der Anlagedauer erst gar nicht, kurve ich im Blindflug über den Markt und kann nur auf Zufall oder Glück bei meiner Aktienanlage hoffen. Meine Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht sich, wenn ich anhand eines definierten Zeitrahmen analysiere; dann ergeben sich klare Antworten fast wie von selbst:

  • Anlagedauer Tage. Chartbild oben, Pfeil 1, abwärts. Heute, Sonntagmorgen, zeigt der Tagestrend abwärts. Das respektiere ich und argumentiere nicht dagegen. Die Lage kann sich in den nächsten Tagen ändern: Bei einer geplanten Anlagedauer von Tagen bin ich dicht am Markt, es geht darum, ob und wie sich die Fed in der nächsten Woche positioniert, welche Andeutungen womöglich zu erhaschen sind und wie der Markt sie aufnimmt, schnell kann ich die Lage neu bewerten und meine Positionierung justieren.
  • Anlagedauer Monate. Chartbild oben, Pfeil 2, abwärts: aber abflachend. Die Lage ist grottenschlecht und natürlich kann sie noch schlechter werden. Aber viel ist schon eingepreist, die abflachende Pfeilkurve zeigt es, der Markt reagiert auf schlechte Nachrichten träger. Wenn ich jetzt kaufe, habe ich die schlimmsten Verluste mit Wahrscheinlichkeit bereits ausgelassen und in einigen Monate freue ich mich über die „günstigen” Einkäufe. Zusätzliche Entscheidungshilfe bietet der Chart, den ich letzte Woche vorgestellt habe.
  • Anlagedauer Jahre. Chartbild unten, Pfeil 3, aufwärts. Wie beim Chartbild oben ist es auch hier der S+P 500, den ich verfolge, er konzentriert sich auf die 500 großen US-Aktienwerte, und er gibt mir einen Eindruck von der Gesamtlage am US- und am Weltmarkt. Beim Chartbild oben sind Tageskerzen zu sehen, beim Chartbild unten sind es Wochenkerzen: Hier geht es um die große Linie. Sie zeigt aufwärts. Investiere ich auf Jahre, mutieren aktuelle Turbulenzen zu Kaufgelegenheiten, denn langfristig zeigt der Trend nach oben. Der größte Feind des Langfristanlegers sind die eigenen Nerven. Es sagt sich leicht: „Ich lege langfristig an.” Wenn im Langfristdepot in einer Baisse sich die Verluste über Wochen und Monate auftürmen, braucht es um durchzuhalten: Nerven in Drahtseilstärke und eine gute Aktienauswahl — denn eine neuer Börsenboom wird häufig nicht von den Werten angeführt, die in der letzten Hausse angesagt waren. Das bedeutet, dass ich auch in einem Langfristdepot in einer Abwärtsphase Einzelaktien aussortieren werde, denen ich keine Rückkehr auf die Gewinnerseite mehr zutraue.
S+P 500 langfristig: Der Pfeil zeigt die Aufwärtsrichtung.

Ich kann in meinem Depot gedanklich mehrere Anlagedauer-Körbe führen, um unterschiedliche Zeitebenen zu behandeln. In jedem Korb liegen Aktien eines Anlagedauertyps. Was ich nicht darf: Die Anlagedauer einzelner Aktien im Börsengetümmel umwidmen. Das wäre Teufelswerk. Ich habe eine Aktie aus Gründen für eine Zeitebene gekauft und stelle ich fest, dass ich auf der Zeitebene für die Aktie eine falsche Annahme gemacht habe, so werde ich die Aktie verkaufen. Ich werde ein Kurzfristinvestment, was in die Verlustzone läuft, nicht umwidmen in ein Langfristinvestment, weil die Aktie doch sicher wieder zurückkommen wird. Ist eine Annahme vom Markt falsifiziert worden, wird die Position geschlossen, der Fehler also nicht verlängert und damit mit Wahrscheinlichkeit teurer gemacht.

Der Vorteil bei der geschilderten Methode: Ich bin nicht auf Börsenwahrsager angewiesen, die mir prophezeien, wie sich der Markt entwickeln wird. Ich folge dem Markt, er ist mein Richter. Ich habe Kriterien für meine Handlungen, und die Wahrscheinlichkeit ist auf meiner Seite, da der Gesamtmarkt sich auf längere Sicht häufiger nach oben als nach unten entwickelt.

Immer sonntags vor der anbrechenden Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarienhier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben. — Lebenspraktischer Hinweis für Inhaber eines Email-Accounts von T-Online oder GMX: Die zwei Anbieter unterlassen es in den meisten Fällen, meine automatische Bestätigungsmail auf deine Newsletteranmeldung in dein Email-Postfach zu legen. Ohne einen Klick deinerseits auf den Button in der (nicht zugestellten) Bestätigungsmail bist du nicht auf meinem privaten Verteiler, erhältst kein sonntägliches Lage & Szenarien. Bitte melde dich in solch einem Fall formlos per Email bei mir, ich setze dich von Hand auf die Liste.