
Lage & Szenarien vom 2.10.2022
Im Ohrensessel zu Aktiengewinnen
Von Frank Sauerland
Draußen tobt der Markt. Es brüllt der Bär. Aber ich spreche von Aktiengewinnen, die man nervenschonend vom Ohrensessel aus machen kann?
Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Darum werden die meisten es nicht glauben, und das ist richtig so.
Denn Gläubige halten sich besser fern von der Börse, zu leicht holt sie dort der Teufel. Börse ist eher etwas für klarsichtige Skeptiker und für Normalbürger, finde ich:
- weil Börse nicht besonders kompliziert sein muss, einige Durchschnittsüberlegungen zum Thema reichen aus
- weil die Marktlage für Zeitgenossen mit beiläufigem Blick ausreichend gut zu beurteilen ist.
Schaue ich mir obiges Bild mit dem mäßig interessierten Blick eines Bürgers an, der auch noch andere Dinge als Börsengeschäfte zu erledigen hat, so erfasse ich bestenfalls grobe Trends, sozusagen Schemen und Flächen — und das ist perfekt. Gerade dadurch verdeutlicht sich mir die Lage, und ich kann mir ein Szenario entwickeln für meine Aktienanlage.
Zu sehen ist der Index NYSE New Lows. Der Index ist durch die Stäbchen dargestellt; sie sehen hier in der Verkleinerung aus wie senkrechte Striche. NYSE steht für New York Stock Exchange. Der NYSE-Index ist ein großer Standardindex auf US-Aktien, nichts besonderes, Börsianer werfen gern einen Blick auf ihn, ähnlich wie sie es beim Dow oder beim S+P 500 machen.
Hier abgebildet ist der Index in seiner Ausformung „New Lows”, notiert wird in ihm die Menge der Aktien, welche in der jeweiligen Woche (entspricht einem Stäbchen) ein neues Kurstief markiert haben. Diese Darstellungsform hat unter anderem den Vorteil, dass die Größe und damit die Indexschwere der einzelnen Aktienunternehmen aus der Betrachtung herausfällt. Ich sehe also besser auf die Marktbreite der Entwicklung, eine Verzerrung durch die Kapitalschwere der großen Unternehmen (Stichwort Apple, Microsoft usw.) ist vermieden.
Als Linie habe ich zusätzlich den S+P 500 eingeblendet, er notiert den Kurs der 500 größten US-Aktien. Den S+P 500 nehme ich als Gesamtanzeiger für den US-Aktienmarkt, und da dieser weltweit führend ist, gibt er auch einen Eindruck von der globalen Börsenstimmung. Methodisch ist das alles Freistil, ich vergleiche zwei Indices mit leicht unterschiedlichen Aktienkörben, die Definitionen sind nicht ganz sauber geführt. Ich akzeptiere das als Privatanleger, es ist für meine Analyse „ausreichend gut”, und es ist sogar perfekt für den Blick mit halbgeschlossenen Augen, welcher Ballungen sichtbar macht und Trends verdeutlicht und damit Erkenntnisse ermöglicht.
Die habe ich eingezeichnet und die Ballungen sind zentral. Es gilt das Muster: Stäbchenhochschnellen und Kursverfall (Pfeile nach unten) treten zeitgleich auf, genauso ist es mit Stäbchenruhe und Kursanstieg (Pfeile nach oben).
Die nach oben ausschlagenden Stäbchen ballen sich, ich habe die Ballungen umkreist. Bei Kreis 1 erschüttert die Finanzkrise von 2007 die Börsen. Kreis 2 ist die Corona-Panik und bei Kreis 3 befinden wir uns heute. Die hochschnellenden Stäbchen bedeuten, dass in der jeweiligen Wochen besonders viele Aktien neue Kurstiefs erreicht haben. Der darüber liegende S+P 500 fällt folgerichtig, der Zusammenhang ist trivial, die Erkenntnis jedoch fundamental:
Sehe ich Ballungen, halte ich mich fern vom Markt.
Umgekehrt gilt: Sinkt die Höhe der Stäbchen, dann herrscht „Ruhe” am Markt, und mein Blick fällt auf die appetitlich aufwärts gerichteten Pfeile, die ich oberhalb der Ruhephasen eingezeichnet habe. Das sind doch Kursgewinne ... Die könnte man mitnehmen und fertig ist der Mechanismus für Aktiengewinne aus dem Ohrensessel heraus.
Einwand, Frank, das sieht nett aus, aber es ist Vergangenheit. Wie geht es in der Zukunft weiter?
Antwort: Das brauche ich nicht zu wissen.
Exakt hier ist der Punkt, bei dem viele Schwierigkeiten haben. Dabei ist er zentral und Funktionsbeweis, dass ich mir hier nichts verspreche, was in der Realität nicht zu halten ist.
Niemand weiß, auf welche Idee Powell, der US-Notenbanker, nächste Woche kommt. Niemand weiß, ob Putin Montagabend den Knopf drückt. Der Chart behauptet auch nicht, es zu wissen. Er bricht mit der bisher letzten vollendeten Handelswoche ab, und er sagt nur „Ballung: Kursverfall, Ruhe: Kursgewinn”. Das ist das Muster und es wird sich mit Wahrscheinlichkeit in die Zukunft fortschreiben, denn ich nehme nicht an, dass sich Physik und Psychologie der Massen in nächster Zeit ändern. Letztere bilden Charts in Kurse geronnen ab.
Das Muster lässt noch eine dritte Schlussfolgerung zu. Offensichtlich, im wahrsten Wortsinn, brauche ich, um Aktiengewinne zu erzielen, keinen ausgesprochenen Tiefpunkt, Hochpunkt oder was für einen Punkt auch immer zu erwischen. Es reicht, in einer Phase der Ruhe zu investieren. Das ist angenehm. Wann die nächste Phase der Ruhe beginnt, brauche ich gerade nicht tag- oder wochengenau im Vorwege bestimmen. Ich merke, wenn es so weit ist, der Chart zeigt es mir.
Meine nächste Aufgabe als Investor ist nun, die Erkenntnisse aus dem Chart in eigenes, konkretes Handeln an der Börse umzusetzen. Wie ich da herangehe: Wäre das ein gutes Thema für das nächste Lage & Szenarien? Schreibe mir. Ich werde das Thema des nächsten Lage & Szenarien-Newsletters auch von deiner Rückmeldung abhängig machen.
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