
Lage & Szenarien vom 31.7.2022
Hartes Geld mit weichen Brötchen
Von Frank Sauerland
„Das Feuer greift rapid um sich; es ist ansteckend und unersättlich; es kann überall entstehen, sehr plötzlich. Alle diese Eigenschaften sind die der Masse.”
Elias Canetti
McDonalds kann man mögen und dort mit seinen Kindern hingehen. Man kann die Einkehr bei McDonalds auch problematisch finden, gerade weil die Kinder es lieben, ein Burgermenü jedoch eine Kalorien- und Gesundheitsherausforderung ist.
Man kann sich als mittelalter Mann von den Klickibuntibestellbildschirmen überfordert fühlen. Die Kinder beherrschen die Panels und zeigen den Altersfortgeschrittenen gern, wie es geht. Man kann die Bildschirmbestellerei auch gut finden, da es das Warten am Tresen verkürzt und den Warendurchsatz erhöht.
Man kann finden, Burgerbraterkonzerne zahlen schlechte Löhne und sind Ausbeuter. Auch die gegenteilige Ansicht lässt sich vertreten, man wird angelernt, der Job ist sofort da und wer Ambitionen hat, betrachtet es als interne Betriebserkundung und macht ein Franchise auf.
Vor allem aber kann man mit McDonalds verdienen und das schmeckt Investoren, auch wenn ihnen die Burger nicht munden oder vom Arzt verboten sind. Exakt 1000 Prozent Gewinn waren mit der Aktie möglich von 2003 bis heute, der Chart oben mit den Monatskerzen zeigt es.
Noch spannender ist womöglich der folgende Chart, der auf den ersten Blick weniger spektakulär wirkt, aber in der Zusammenschau mit dem ersten Chart eine Aussage erlaubt, welche für mittel- und langfristig orientierte Investoren wertvoll sein kann und zwar nicht nur für die Aussichten in der Burgerbratenbranche; denn es ist durchaus möglich, von McDonalds und der Branche zu abstrahieren und sich darin zu üben, das Muster zu sehen: Letztlich sind kartierte Kursverläufe nichts anderes als sichtbar gemachte Entscheidungen von Massen, also von vielen Investoren. Wenn Massen sich bilden und entscheiden, ist das immer interessant und erlaubt Einblicke.
Wieder ist hier die Kursentwicklung von McDonalds zu sehen:

Jede Kerze steht für einen Tag und das Bild steigt ein mit dem Beginn diesen Jahres und endet mit dem derzeit letzten Handelstag am Freitag, dem 28.7.2022. Das ist kein Chart zum Jubeln, dafür ist es ein Chart, in dem ein Investor lesen kann. Damit hat der Chart einen Vorteil gegenüber dem ersten Bild ganz oben: Sehe ich einen 1000-Prozenter, dann denke ich, ja toll, wäre ich mal dabei gewesen … aber jetzt, das ist doch 20 Jahre zu spät.
Zoome ich dann heran, wie im zweiten Bild, sehe ich mich auf den ersten, zu schnellen Blick bestätigt: Der Zug ist abgefahren, da geht nichts mehr.
Solch eine Schlussfolgerung wäre aber womöglich ein teurer Fehler. Wir sind im zweiten Chart auf der Tagesebene, und auf der Ebene wird das Geld gemacht, auch für den Langfristinvestor, denn irgendwann muss er einsteigen, an irgendeinem Tag. Verschiebt er immer wieder den Einstieg, weicht er zwar möglichen Verlusten aus, aber auch jeglichen Chancen auf Gewinn.
Gehen wir von einem ungeschickten Investor aus. Er hat ein schlechtes Händchen und denkt sich Anfang des Jahres 2022: Gerade gehen die großen Technologie-Aktien baden, die Gewinner von 2021, und ich nehme deswegen jetzt besser etwas Defensives, also McDonalds, die haben sich über die Jahre gut entwickelt, in die investiere ich nun mittel- bis langfristig. Aber der Investor mit dem schlechten Händchen zögert den Kauf hinaus und findet sich prompt bestätigt, McDonalds rutscht abwärts wie fast die gesamte Börse. Dann, im Februar, erholt sich der McDonalds-Kurs, und der Investor legt sich einige Stücke McDonalds ins Depot. Er ist stolz, er hat sich endlich entschieden.
Aber jetzt geht es wieder abwärts … Zu allem Überfluss marschiert auch noch Putin in der Ukraine ein und Sanktionen werden beschlossen, McDonalds sperrt seine Läden in Russland zu. Der McDonalds-Kurs stürzt ab.
Es läuft so richtig mies für den Schlechte-Hand-Investor. Kurz darauf gibt der Konzern bekannt, sich komplett aus Russland zurückzuziehen und die Lokale dort an einen Russen zu verscherbeln.
War also in den letzten Tagen, war am letzten Freitag oder ist am morgigen Montag der Moment gekommen, da auch Mr. Schlechte-Hand sich eingestehen sollte, dass er mit McDonalds eine falsche Wahl getroffen hat und er besser verkaufen sollte?
Nein, der Moment ist nicht gekommen. Das erkennt der Investor, wenn er auf die zwei Charts schaut. Der Langfristchart signalisiert dem Investor, der Trend hat Bestand. Der Tageschart hilft dem Investor zu beurteilen, ob das eigentliche Geschäftsmodell von McDonalds mit Wahrscheinlichkeit noch intakt ist, oder ob es durch das Sanktionsregime einen substantiellen Schaden erlitten hat. Ich habe vier Zahlen notiert im Chart:
- Erstes Kurstief. Einmarsch in die Ukraine.
- Zweites Kurstief. Alle russischen Filialen werden geschlossen. Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll. Der Börse missfällt Unsicherheit.
- Drittes Kurstief. Warum passiert dieses Kurstief? Bei mir ist der Grund im Neuigkeitenstrom untergegangen, vielleicht waren es Zinsängste, manches hat auch keine Erklärung … Interessant ist der steile Kursanstieg in den Tagen nach Kurstief 2. Da wurde bekannt, dass der Russe Alexander Gowor die 850 McDonalds-Filialen in Russland kaufen will. Der Infohappen wird nach Kurstief 3 erneut verköstigt, der Kurs steigt wieder.
- Viertes Kurstief. Dort werden die neuen Geschäftszahlen bekanntgegeben. Am Tag davor verkaufen unsichere Aktionäre, am Tag danach kaufen begeisterte Aktionäre.
Tief 2, 3 und 4 schließen jeweils höher als das vorangegangene Tief. Das heißt es finden sich immer früher Käufer, welche die auf den Markt geworfenen McDonalds-Anteile aufnehmen wollen. Offensichtlich trauen sie dem Unternehmen immer mehr zu, die Russlandkrise zu meistern, und das vierte Tief schließlich ist weniger markant als die Tiefs davor. Nun sind wir bereits wieder auf der Kurshöhe vom Februar und Mr. Schlechte Hand kann sich sagen, dass McDonalds ein wirkliches Langfrist-Investmentpapier sein kann und auch geeignet ist für Anleger mit Unsicherheiten beim Timing.
Immer sonntags vor der anbrechenden Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarien → hier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben. — Lebenspraktischer Hinweis für Inhaber eines Email-Accounts von T-Online oder GMX: Die zwei Anbieter unterlassen es in den meisten Fällen, meine automatische Bestätigungsmail auf deine Newsletteranmeldung in dein Email-Postfach zu legen. Ohne einen Klick deinerseits auf den Button in der (nicht zugestellten) Bestätigungsmail bist du nicht auf meinem privaten Verteiler, erhältst kein sonntägliches Lage & Szenarien. Bitte melde dich in solch einem Fall formlos per Email bei mir, ich setze dich von Hand auf die Liste.