
Lage & Szenarien vom 24.7.2022
Der Abstieg
Von Frank Sauerland
Der Abstieg ist epochal, und das Ärgerliche ist, er betrifft mich und einige andere wohl auch. Wir sitzen nicht in der Loge und schauen zu, sondern wir sind mit auf der Bühne und aufgeführt wird ein Drama. „Eurodrama” heißt das Stück, und oben ist das Reklameplakat dazu. Es hängt weltweit aus und es ist richtig gut, denn jeder versteht es sofort, und so wird der Zulauf aus dem Publikum groß sein.
Die Nichteuropäer werden sich unterhalten lassen von dem saftigen Stück, Bildungsbürger werden wissend den Kopf wiegen und auf die Lateinische Münzunion verweisen. Romantiker werden weinen, Krieger werden klatschen, vor Begeisterung und zur Anfeuerung. Staunen werden Politiker: Die Gesetze des Dramas sind unerbittlich und haben sich seit Aristoteles nicht geändert.
Für Lage & Szenarien sind bei dem aufgeführten Drama die Investoren interessant. Wie reagieren Investoren, die von weither kommen, von außerhalb Europas? Wie agieren europäische Investoren, die mit auf der Bühne stehen, die Mithandelnde oder Mitbehandelte sein werden?
Ich teile die Investoren in zwei Gruppen, in Verlierer und Gewinner, und ich betrachte in dieser schmalen Lage & Szenarien Sommersonntag-Email nur die Gewinner, obwohl aus Sicht eines Dramas sich über Verlierer die interessanteren Geschichten erzählen lassen. Aber wir sind hier nicht, um uns gut unterhalten zu lassen, sondern um nach guten Gewinnen zu schauen, und als Gewinner oder Möchtegern-Gewinner reiße ich nun einfach das obige Theaterplakat herunter und drehe es auf den Kopf.
Schon hieße das Stück nicht mehr "Der Abstieg", sondern "Der Aufstieg", denn im umgedrehten Plakat zeigt der Pfeil nun nach oben und an einem Aufstieg lässt sich verdienen, viel einfacher als an einem Abstieg.
Der unumgedrehte Chart vom Anfang der Email beginnt zum Jahreswechsel 2021 und endet mit der aktuell letzten Handelswoche: Er zeigt das Verhältnis des Euros zum Dollar. Plakativ kann man sagen, dass der Wert des Euros verfällt. Im Verhältnis zum Dollar hat der Euro innerhalb von anderthalb Jahren 16 Prozent verloren. Jede Kerze im Bild steht für eine Woche. Die letzte grüne Kerze zeigt eine knappe Gegenbewegung, da die Europäische Zentralbank EZB in der abgelaufenen Woche eine 0,5 Prozent Zinserhöhung beim Euro ankündigte.
Die US-Zentralbank Fed ist mit den Erhöhungen weiter als die EZB, die Fed hat einen rigideren Fahrplan, so dass sich der Abstieg des Euros im Verhältnis zum Dollar mit Wahrscheinlichkeit fortsetzt; und selbst wenn nicht: Zumindest wird sich der Trend kaum umkehren. Denn der EZB sind im Abstiegskampf, bildlich gesprochen, die Hände auf den Rücken gebunden. Sie muss auf das stark verschuldete Italien Rücksicht nehmen. Erhöhte die EZB die Zinsen zu sehr, um die Inflation im Euro-Raum einzudämmen, könnte der Staat Italien instabil werden, da er seinen Schuldendienst nicht länger leisten kann. Die EZB hat die Existenz der Gefahr selbst zugegeben, indem sie die Fachöffentlichkeit darauf vorbereitet, Staatsanleihen von Staaten kaufen zu wollen, die sich am Kapitalmarkt ansonsten nur noch zu überdurchschnittlich erhöhten Zinsen frisches Geld besorgen könnten. Das EZB-Instrument dafür heißt Transmission Protection Instrument. Die EZB finanzierte mit solchem Vorgehen den Staat Italien, und das Geld dafür druckte sie praktisch selbst, letztlich käme es allerdings von den Bürgern der anderen EU-Staaten.
Genug Theorie am Sonntag, rein praktisch sage ich mir, in der EU ist zurzeit kein Blumentopf zu gewinnen, zumindest fällt es hier deutlich schwerer als im Dollarraum, der zudem größer ist und damit mehr Auswahl bietet als der Euro-Raum, wie die Grafik des Visualcapitalists verdeutlicht: (Die Grafik ist nur in der Email zu sehen, welche ich über meinen privaten Verteiler zusende.)
Drei große Wirtschaftsblöcke gibt es, den chinesischen, den amerikanischen, den europäischen Wirtschaftsblock. Der Dollar ist Weltreservewährung, der Euro wollte es werden. Aber er wird es nicht, er steigt ab. Künftig werden weniger Staatsmänner außerhalb Europas, weniger Staatsfrauen in Euro abrechnen oder anlegen wollen, denn das wäre ein schlechtes, zumindest risikoreiches Vorhaben, das Vertrauen in den Euro als Wertaufbewahrungscontainer und zeitstabile Abrechnungseinheit beginnt zu schwinden, und schwindendes Vertrauen ist das Letzte, was man möchte, wenn man sich nach einer Reservewährung umschaut. Der Abstieg der Euro-Währung ist auch Ausdruck eines Wirtschaftsraumes mit zunehmenden Problemen. Für einen durchschnittlich begabten Investor wie mich ist es einfacher, in einem starken, aufsteigenden Wirtschaftraum positive Ergebnisse zu erzielen. Währungsgewinne kommen als Sahnehäubchen noch obendrauf.
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