
Lage & Szenarien vom 12.6.2022
Prepper-Festspiele im Bunker
Von Frank Sauerland
Ein Chartbild mit gleich drei Linien und einer zusätzlichen Stäbchenreihe, dazu noch an einem sonnigen Sonntagmorgen, ist das zu kompliziert?! — Aber von wegen, ich werde nicht den Fehler machen, meine Leser zu unterschätzen. Zumal das Chartbild zeigt, in welchen Aktien man in der augenblicklichen Marktlage investiert sein sollte und in welchen besser nicht.
Um ein klares Lagebild zu erhalten, schalte ich zunächst die Nachrichten aus, die auf mich einprasseln. Ich mache mir ein eigenes Bild und zwar anhand von Zahlen und Fakten. Sie stecken alle in dem Chart.
Die unterste, gelbe Linie zeigt den EWG an. Das ist ein ETF, welcher die großen deutschen Aktienunternehmen zusammenfasst und in Dollar notiert. Der EWG bietet einen Blick auf den DAX aus Sicht amerikanischer Investoren.
Die türkise Linie darüber ist der QQQ, ebenfalls in Dollar notiert, wie übrigens alle Werte des Charts. Der QQQ ist ein ETF, welcher sich auf amerikanische Technologiewerte konzentriert. Apple, Microsoft, Alphabet sind darin, aber auch viele kleine, zukunftsorientierte Tech-Aktien.
Darüber ist in Lila der GLD als Anzeiger des Goldpreises eingezeichnet. Zuoberst in Stäbchenform steht der Ölpreis durch die Brent Crude Futures.
Auf der rechten Seite ist eine Prozentskala, links unten geht es für alle vier Werte bei null Prozent los im Juni des vergangenen Jahres. Der Chart endet beim derzeit letzten Handelstag am vorgestrigen Freitag, 10.6.2022.
- EWG. Die Welt schaut durch den Dollar auf die deutsche Wirtschaft und ihr Urteil lautet: besser verkaufen. Der Kursverlauf vieler deutscher Aktien ist ein Desaster. Hätte ich vor 12 Monaten hier investiert, hätte ich eher 30 als 20 Prozent meines Kapitals verloren. Woran auch immer es liegen mag … EZB- und Energie-Politik, Infrastruktur- und Bildungsverfall, Steuern, Abgaben, Ausgaben, Bürokratie … für internationale Investoren dürfte das unerheblich sein. Sie werden kaum Geduld und Wissen haben, um sich mit den Bedingungen und Nöten des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu beschäftigen. Das brauchen sie auch nicht. Sie lesen die Bilanzen und Aussichten der Aktienunternehmen und sie haben das Geld, mit welchem sie die Kurse beeinflussen. Ihr Geld geht dahin, wo es am besten, am ertragreichsten arbeiten kann. Aus Deutschland fließt es jedenfalls ab. Als Privatanleger kann und werde ich nicht dagegen argumentieren. Ich sehe, ziehe Schlüsse, folge.
- QQQ. Über den Auf- und Abstieg der Technologiewerte, über die Gründe wurde genug geschrieben, auch von mir (hier und hier zum Beispiel). Die türkise Linie hat im Herbst letzten Jahres ihre Plateauphase, seit dem Jahreswechsel geht es abwärts und bisher ist keine Trendwende zu erkennen. Das akzeptiere ich. Mit anderen Worten, es besteht keine Notwendigkeit, sich auf dem Gebiet zu engagieren. Die Pandemie ist vorbei, Online-Wirtschaft und Zoom-Konferenzen sind nicht länger angesagt. Dazu kommt, dass manche kleinere Software-Bude doch ein reichlich wolkiges Geschäftsmodell hatte. Das machte wenig, solange die Fed Frischgeld in den Markt drückte. Jetzt will sie ihr Geld wieder haben und erhöht die Zinsen. Das ist ein Stresstest, der manchem Geschäftsmodell Dellen verpasst.
- GLD. Das ist die vielleicht spannendste Linie im Chart. Sie startet bei Null und endet bei Null. Währenddessen trabt die Inflation, und Gold als die angeblich ultimative Versicherung gegen die Inflation merkt es nicht? Erklären kann ich mir das kaum. Vielleicht ist Gold keine Inflationsversicherung, eher eine Unsicherheitsversicherung? Im März gibt es eine Spitze im Chart, da ließ Putin in der Ukraine einmarschieren. Aber schnell fällt Gold wieder zurück, die Unsicherheit verschwindet. — Vielleicht ist Gold die aufgespeicherte Massenlangzeitweisheit der Menschen, was bedeutete, dass die derzeit heißdiskutierte Inflation ein vorübergehendes Phänomen und in einem Jahr vergessen wäre. Jedenfalls bringt sie Goldmarktteilnehmer bisher nicht dazu, Edelmetall zu kaufen. Offensichtlich haben sie andere, nach ihrem Urteil bessere Ideen fürs Kapital. Da ich mir nicht einbilde, schlauer zu sein, schließe ich mich dem Urteil an.
- Öl. Im Juni letzten Jahres startet der Preis bei null Prozent, er fällt, steigt, fällt und beendet das Jahr mit null Prozent, das ist zunächst wenig inspirierend. Doch seit Jahresbeginn erkenne ich eine Richtung: nach oben. Der Putin-Peak im März ist abgependelt, der Trend nach oben erneut aufgenommen.
Nun schalte ich die Nachrichten dazu. Am Freitag gaben US-Behörden bekannt, dass der Konsumenten-Preisindex im Mai um 8,6 Prozent gestiegen ist, das ist der schnellste Anstieg seit Dezember 1981. Der hohe Wert kam für die Mehrheit der Börsianer unerwartet. Die Aktienkurse gaben Donnerstag und Freitag kräftig nach. In der kommenden Woche tagt die US-Zentralbank Fed. War bisher mit einem Zinsschritt von 0,5 Prozent gerechnet worden, so fragen sich Börsenbeobachter, ob sogar 0,75 Prozent möglich wären und eine Rezession auf den Weg brächten … und wenn sie sich das fragen, dann ist die Möglichkeit im Zeitalter des Aktienmausklickkaufs oder -verkaufs schon in den Kursen drin. Daraus folgt für mich:
Das Sommer-Szenario. Deutschland - nein. Big Tech - nein. Gold - nein. Cash - ja, jedoch ist das keine Dauerlösung wegen der Inflation. Energie - aussichtsreich. Was bleibt?! Sehr gut oder zumindest leidlich halten sich konservative Blue-Chips, welche essentielle Lebensbedürfnisse abdecken. Zu finden sind solche Papiere in den Sektoren Healthcare, Rohstoffe, Sicherheit. Wenn die Zeiten rauer werden, das Netflix-Abo lange eingespart worden ist und es das iPhone der vorletzten Generation tut, dann bieten die konservativen Blue-Chip-Unternehmen Produkte und Dienstleistungen an, die wir immer noch und jetzt erst recht brauchen: Gesundheitslösungen für uns und unsere Liebsten, Getreide und Metalle, Schutz.
Das hört sich nach Prepper-Festspielen und Endzeit-Kintopp an. Doch es wäre falsch, wenn ich aufgrund des Szenarios mit Konserven und festgezurrtem Depot in meinen Bunker hinabstiege und die Tür verriegelte. Die Börse spielt derzeit das Szenario. Sobald die Fed sich nur ein wenig zahmer gibt oder das Rezessionserwartungsbild Risse bekommt oder die Inflation schwächelt, wird die Börse (hoch)drehen, und die konservativen Werte werden … nun ja reichlich konservativ wirken. Damit bleibt es spannend und so soll es sein.
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