
Lage & Szenarien vom 27.3.2022
Ein DAX zum Davonlaufen — und ein Überflieger
Von Frank Sauerland
Der Chart oben vergleicht zwei bekannte Indices miteinander. Der Vergleich zeigt, wo Anleger eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, Gewinne zu erzielen — und wo es ihnen schwerer fallen dürfte.
Die Zeitleiste des Charts beginnt im März des vorletzten Jahres, und sogleich geht es kräftig herunter: Die Corona-Panik lässt die Aktiennotierungen abstürzen. Die Zeitleiste endet mit dem derzeit letzten Handelstag, dem Freitag, 25.3.2022.
In Stäbchenform sind die wöchentlichen Indexnotierungen des Select Sector Fund Technology (XLK) notiert. Der ETF dient mir als Anzeiger für den Zustand der Technologie-Branche. Die zehn größten Positionen im XLK sind Apple, Microsoft, Nvidia, Visa, Paypal, Mastercard, Adobe, Intel, Salesforce, Cisco.
Als Linie ist der deutsche Vorzeigeindex DAX im Chart eingezeichnet und zwar in seiner Ausformung als Kurs-DAX, um ihn international vergleichbar zu machen. Kurs-DAX bedeutet, es wird nur der Kurs der im DAX enthaltenen Unternehmen berücksichtigt, und die Dividenden werden nicht immer wieder (= kumulierend) zum Indexkurs dazu gezählt.
Unmittelbar zu sehen ist, dass ich bei einer Investition im XLK in einer langgezogenen Gewinnerkurve bis heute 55 Prozent plus gemacht hätte, im DAX null Prozent. Der Gewinn wäre sogar höher ausgefallen, wenn ich nicht unmittelbar vor Ausbruch der Corona-Krise in den Markt gegangen wäre, sondern einige Zeit später. Aber das sind Feinheiten, mir geht es um die Richtung: Wo Investitionen mit Wahrscheinlichkeit und ohne übetriebenen Gehirnschmalzeinsatz funktionieren, und wo das Geschick des Anlegers besonders gefordert ist, wenn er trotz widriger Umstände einen Gewinn erzielen will.
Ich blende in das nächste Chartbild zusätzlich den IEO ETF ein. Das ist der iShares US Oil & Gas Exploration & Production ETF, enthalten sind in ihm die Aktien der Konzerne Conoco, Marathon usw. Der IEO zeigt mir den Zustand des Rohstoffsektors an, speziell natürlich den Zustand der Ölbranche. Die aktuelle Lage hier, wir alle wissen es und erleben es an der Zapfsäule: Der Preis geht durch die Decke.

Die Stäbchen zeigen im zweiten Chart wieder den Big-Tech XLK, orange ist der Kurs-DAX, türkis der Öl-ETF. Die aktuelle Lage ähnelt der nach dem Covid-Crash im März des vorletzten Jahres. Nachdem damals der Kursboden gefunden war, ging es fast ohne Rücksetzer aufwärts — ein Verhalten, das der Markt bis dahin nicht kannte. Aktuell haben wir seit Jahresbeginn einen heftigen Kursrückgang und seit acht Handelstagen geht es plötzlich aufwärts, hart und gefühlt ohne vernünftige Einstiegsmöglichkeit für Zuspätkommer.
Der große Unterschied zum März 2020: Die Fed, die amerikanische Notenbank spielt nicht mit. Damals gab sie Geld in den Markt … besser gesagt, sie flutete das System mit Dollars. Heute sammelt sie ein, kündigt viertelprozentige Zinserhöhungsschritte an. Fed-Chef Jerome Powell dachte die letzten Tage sogar laut über Halbprozentschritte nach. Den Markt kümmert es aktuell wenig. Es macht den Eindruck, je größer die Hindernisse und Sorgen, desto stärker wird der Risikoappetit der Anleger. — Früher oder später wird die Wirklichkeit den Optimismus der Anleger natürlich einholen. Krieg und Sanktionen, Rohstoffknappheit, Lieferengpässe werden die Quartalsergebnisse der Unternehmen belasten, und das wird den Anlegern auf den Magen schlagen.
Aber meine Zeitangabe „früher oder später” ist keine gute Hilfestellung, um den richtigen Moment für eine Investition zu finden. Am Markt kann es weiter hoch und höher und auch irre höher gehen. Er kann auch das Gegenteil passieren. Offensichtlich bringen mir als Anleger kurzfristige Timing-Überlegungen wenig Erkenntnis- und keinen sicheren finanziellen Gewinn. Daher trete ich einen Schritt zurück und sehe das hier:

Unterste, türkise Linie: ÖL-ETF. Darüber ist der Kurs-DAX in orange. Die Stäbchen zeigen wiederum Big Tech. Der Chart beginnt im September 2018, dort haben die drei Indices ihren Nullpunkt. Erkenntnisse: Die deutschen Anleger schauen erneut in die Röhre. Der (Öl-)Rohstoffsektor verfiel zunächst im Preis und holte erst jetzt im Angesicht des Ukraine-Krieges wieder auf. Der einzige Sektor von den dreien, der echten Gewinn produzierte, war der Big Tech-Sektor. Ich könnte auch sagen, er war der einzige Sektor, in welchem echter, epochaler Fortschritt stattgefunden hat. Die Kurse spiegeln das nur. Die deutsche Wirtschaft hat offensichtlich ein Problem, und bei Rohstoffen gibt es keinen Fortschritt. Sie werden gebraucht, aber aus einem Liter Öl wird nie eine KI werden, der Liter wird höchstens von einer KI zu einer Plastiktüte verarbeitet werden.

Um sicherzugehen, den Trend richtig einzuschätzen, nehme ich nun die Position eines extrem entspannten Investors ein. Er übertreibt es nicht mit seinem Interesse für Aktien, er weiß, es gibt auch andere, wahrscheinlich wichtigere Sachen im Leben. Aber ab und zu guckt er eben auf seine Anlagen und prüft, ob es läuft, oder ob er justieren muss. Nun ja, der Anleger wird feststellen, dass er mit seiner Investition in Big Tech auch auf längere Sicht richtig gelegen hat. Das bildet obiger Chart seit August 2016 ab: einen XLK-Gewinn von 280 Prozent, einen Rohstoff-Gewinn von 60 Prozent und beim Kurs-DAX sind es 20 Prozent. Auf fünf Jahre sind 20 Prozent eine magere Entschädigung für die Nervenkraft, die man in der Zeit gelassen hat, zumal in den Zeitraum auch Minusstände auftraten. Auch die 60 Prozent bei Rohstoffen oder Öl sind - schaue ich mir den Langfristchart genau an - kein Selbstläufer: Der Kurs fluktuiert, hier ist ein aktiverer Anlagestil gefragt und höheres Marktverständnis sowie ein gutes Händchen beim Timing. Das hat Logik, Rohstoffe machen keine Fortschritt, das sagte ich oben, es gibt Marktphasen, da boomen sie, und dann kommen Phasen, da sind sie weniger gefragt und der Kurs geht zurück. — Lohnt es sich, in den weit gelaufen Technologie-Sektor noch einzusteigen? Die Antwort gibt der letzte Chart:

Achtung, ich habe auf Tagesdarstellung umgeschaltet, jede Kerze repräsentiert nicht länger eine Woche, sondern lediglich einen Tag. — Wir steigen im Oktober letzten Jahres ein, die drei Indices beginnen dort bei null. Rohstoffe rennen allen davon. Sah es im vorigen Chart noch so aus, als sei Big Tech zu weit gelaufen, dann sind es nun die Rohstoffe, die enteilt sind: alles eine Frage der Perspektive.
Im Tageschart sehen die Technologie-Unternehmen gar nicht so gut aus. Es scheint sich vielmehr aktuell um einen Abwärtstrend zu handeln, der in den letzten neun Tagen zu einer positiven Gegenbewegung ansetzt. Die Langfristcharts zeigen die Outperformance von Big Tech. Aktuell sehe ich einen längeren Kursrückgang mit einer kleinen Gegenbewegung. Für einen Investor im Ohrensessel, ausgestattet mit einem entspanntem Gemüt, ist das ein angenehmes Szenario:
- Er investiert und die Kurse kommen nach neun Aufwärtstagen doch zurück. — Es juckt ihn nicht, er kennt den Langfristchart.
- Er investiert und die Kurse ziehen weiter nach oben. — Es juckt ihn nicht, er ist dabei.
Ohrensessel-Investoren, die ab und zu nach vorn auf die Sesselkante rutschen und ihre Gewinnchancen optimieren wollen, zeige ich nächsten Sonntagvormittag in meinem Newsletter Lage & Szenarien einige Kirschen auf der Big Tech-Torte. Die kann man einfach runternehmen und wegschnabulieren, falls man sich nicht gleich den kompletten Big Tech-Kalorienbomber geben will.
Immer sonntags vor der anbrechenden Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarien → hier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben. — Lebenspraktischer Hinweis für Inhaber eines Email-Accounts von T-Online oder GMX: Die zwei Anbieter unterlassen es in den meisten Fällen, meine automatische Bestätigungsmail auf deine Newsletteranmeldung in dein Email-Postfach zu legen. Ohne einen Klick deinerseits auf den Button in der (nicht zugestellten) Bestätigungsmail bist du nicht auf meinem privaten Verteiler, erhältst kein sonntägliches Lage & Szenarien. Bitte melde dich in solch einem Fall formlos per Email bei mir, ich setze dich von Hand auf die Liste.