
Lage & Szenarien vom 13.3.2022
Tag der Offenbarung
Von Frank Sauerland
Mittwoch war ein fantastischer Tag. Der DAX gewann 1016 Punkte hinzu. Es war der größte Punktanstieg aller Zeiten in dem Leitindex des deutschen Aktienmarktes. Grund für die Rekordjagd waren Nachrichten von der Ukrainefront. Am nächsten Tag (10.3.) kamen neue Nachrichten aus der Ukraine, schlechtere, und der DAX sackte zurück.
Zunächst wirkt das wie eine Jo-Jo-Börse. Rauf und runter, je nach Nachrichtenlage. Der Mittwoch bedeutete aber etwas anderes. Für mich zumindest. Es war ein Tag der Offenbarung. Und wie Offenbarungen es so an sich haben, ist das Offenbarte angeblich länger gültig. Das mögen wir Aktionäre, ein Blick in die Zukunft ist schließlich bares Geld wert. Am Mittwoch zeigten mir die Märkte, was uns bevorstehenden kann, wenn der Krieg ein Ende hat.
Jede Kerze im Chartbild oben stellt einen Tag im DAX dar. Zum Vergleich habe ich in Liniendarstellung den S+P 500 dazugenommen. Der S+P 500 ist der US-Leitindex, er umfasst die 500 größten börsennotierten nordamerikanischen Unternehmen. Die zwei eingezeichneten Pfeile weisen auf den letzten Mittwoch, den 9.3. Die Zeitskala des Charts endet rechts mit dem aktuell letzten freitäglichen Handelstag, und sie beginnt links im Chartbild für beide Indices im Sommer letzten Jahres. Beide Indices haben dort denselben Ausgangspunkt, der S+P 500 entwickelt sich seitdem besser als der DAX. Darüber habe ich häufiger geschrieben.
Genau mit dem Jahreswechsel 2021/22 wechseln die Indices in den Abwärtsmodus. Zunächst in einer Art kontrolliertem Sinkflug, seit der Kriegsrede des russischen Präsidenten Putin am 21.2. und dem nächsttägigen Einmarsch der russischen Armee im Nachbarstaat Ukraine geht der Sink- in einen Sturzflug über.
Zumindest im DAX. Wenn ich genau in den Chart schaue, dann sehe ich, dass zwar auch die amerikanischen Aktien weiter fallen; aber so panisch wie der deutsche Markt reagiert der amerikanische nicht.
Was Logik hat, denn Amerika ist geografisch weiter entfernt vom Ort des Krieges als Deutschland. Was in Europa passiert, ist für Amerika relevant, und Börsen mögen grundsätzlich keinen Krieg, sie mögen keine Unsicherheit. Dennoch sind Amerikaner emotional und wirtschaftlich weniger beteiligt, der Ukraine-Krieg ist ein europäischer Krieg, alles passiert in unserer Nachbarschaft. Der Chart zeigt das.
Der S+P 500 geht weniger in die Knie als der DAX, und am Mittwoch steigt der S+P 500 weniger als der Tagesrekordjäger DAX. Das ist die Lage und mein Szenario folgt daraus: Weiterhin bleiben die Kurse nachrichtengetrieben. Kommen gute Nachrichten von der Front, dann steigen die Aktien. Bei schlechten Nachrichten fallen sie. Die beste aller Nachrichten wird die Nachricht vom Ende des schrecklichen Krieges sein, wobei fast egal ist, ob der Krieg nur offiziell endet und in Wirklichkeit in einen Partisanenkrieg mündet. Wichtig für die Börse ist, dass der „Große Krieg” vorbei ist und die Unsicherheit aus dem Markt entweicht. Dann werden die amerikanischen Aktienkurse steigen. Aber stärker noch werden die Aktien in Europa und besonders in Deutschland hochschießen. Das Marktverhalten am Mittwoch wies schon den Weg.
Natürlich werden Börsianer schnell neue Gründe finden, um sich Sorgen machen zu können. Sie hassen Sorgen, aber scheinbar brauchen sie die Sorgen auch, jedenfalls sind sie immer auf der Suche nach ihnen, und zur Not erfinden sie sich welche. Zinssorgen und Rohstoffsorgen bieten sich an, auch Sorgen vor den Auswirkungen der verhängten Russlandsanktionen auf die Geschäfte von Aktienunternehmen. — Aber das sind Überlegungen für Übermorgen, zunächst muss der Krieg enden.
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Der Ukraine-Krieg ist ein Einschnitt. Ich fragte meine Leser vorigen Sonntag in Lage & Szenarien, welche Aktienunternehmen für die kommende, veränderte Weltordnung die richtigen und wichtigen Produkte und Dienstleistungen anbieten könnten. Viele interessante Antworten kamen. Danke! Oft wurden Rüstungsfirmen genannt, namentlich L3 Technologies, Elbit und Lockheed Martin. Spannend war auch die Email von Maximilian K. Als Beschäftigter habe er Einblicke beim DAX-Unternehmen Schaeffler und könne sich von Portfolio, Kundenstruktur und Auslastung ein Bild machen:
- Schaeffler sei Zulieferer für nahezu sämtliche Bahnhersteller, Windanlagenbauer im Wälzlagerbereich und Vorlieferant bei zahlreichen Aggregaten. Wenn es sich drehe, stecke meist Schaeffler dahinter.
- Die Auslastung im Industriebereich sei ausgezeichnet, als Lieferzeit in einzelnen Bereichen werde bereits jetzt Ende 2023 genannt.
- Für die Automobilindustrie werde vorgefertigt, und die Autohersteller nähmen die vorgefertigte Produktion auch ab, denn sie wollten vorbereitet sein, um voll hochfahren zu können, sobald der Chipmangel beseitigt sei.
- Das Geschäft mit Russland und Ukraine sei für Schaeffler nur ein kleiner Faktor.
Ich schaue mir den Schaeffler-Chart auf Wochenkerzenbasis an und sehe eine laaange Abwärtsbewegung die in eine ebenso lange Senke übergeht, aus der es nicht so recht wieder hochgehen will, die vielmehr auf der rechten Seite erneut übel wegrutscht:

So recht verheißungsvoll sieht das zunächst kaum aus. Zoome ich hinein und schaue auf die Tageskerzen, so ergibt sich das Bild:

Ja, da ist nach den Earnings („E” im Chart, bedeutet Quartalszahlen) eine Wende zu erkennen. Die Zahlen waren gut, Anleger zeigten Kaufinteresse. Ich habe dort im Chart ein „U” eingezeichnet, dort könnte der Boden gewesen sein. Ebenso kann es lediglich ein Zucken im übergeordneten Abwärtstrend bedeuten. — Nehme ich beide Charts, dazu die Email von Maximilian K. sowie die oben geschilderte DAX-Lage zusammen, so sehe ich eine Wahrscheinlichkeit, dass der Schaeffler-Kurs zunächst weiter steigen kann, wenn es gute Nachrichten von der Kriegsfront gibt und der DAX zum Erleichterungsspurt ansetzt.
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