Aktien Blog 2022Ansichten eines Aktienanlegers

Lage & Szenarien vom 13.2.2022

Die defekte Zins-Maschine

Von Frank Sauerland

Politiker versuchen, an die Macht gekommen, Probleme zu lösen, die sie während langen Jahren in der Opposition gesehen und angeprangert haben. Die aktuell Regierten jedoch haben längst andere Probleme.

Notenbanker versuchen, Probleme zu lösen, die sie in den Wochen zuvor am Markt wahrgenommen haben. In dem Augenblick, da die Notenbanker zusammengekommen sind und abgestimmt haben und ihre Beschlüsse von Beamten und Computern umsetzen lassen, in dem Augenblick verhandelt der Markt längst andere Probleme.

Es ist ein Grundmuster. Es lässt sich auf zwei Worte verkürzen. Zu spät.

Erkenne ich das Muster, kann ich versuchen, es mit Gewinn nutzen. Zumindest an der Börse.

Lage. Krieg oder Frieden. Putin hat die Ukraine umzingelt, ist am Drücker. Es ist sein Hinterhof. Er wird wägen, einen Plan haben, Optionen. Gedankenexperiment: Welche Überlegungen, Vorbereitungen unternähme ein US-Präsident, entzöge ein mittelamerikanischer Staat sich der Machtsphäre der USA, näherte sich Russland an, orderte Raketen in Russland? Zu welchen Maßnahmen fühlte sich ein US-Präsident legitimiert, sogar gezwungen, um vor dem Urteil der Geschichte zu bestehen? Einem Präsidenten, zumal im letzten Drittel seines Lebens angekommen, geht es um drei Dinge. Um den Fortbestand seiner Macht, um das Wohlergehen seiner Dynastie, um den Eintrag im Geschichtsbuch. Die Regel dürfte gelten, stammten die starken Männer auch aus dem Westen, Osten oder Fernen Osten. Noch etwas gilt: Hinter die Stirn guckt ihnen keiner. Ob Putin am Dienstagabend sagt: Marschieren. Oder ob er den Abend mit Glotze und Game of Thrones verbringt und sich vor dem Schlummer amüsiert, wie er die US-Dienste foppte — wir wissen es nicht.

Vorhersagen mit erhöhter Trefferquote sind daher unmöglich, vergebliche Mühe. Das richtige Verfahren für mich ist, den Konflikt - in Bezug auf Börsenanlagen - informiert zu ignorieren. Zu reagieren, wenn sich die Lage entwickelt. Anders ist es bei der Fed, der amerikanischen Zentralbank. Fed-Chef Jerome Powell stimmte die Märkte auf Zinserhöhungen ein. James Bullard, Präsident der untergeordneten Federal Reserve Bank St. Louis, verschreckte die Börsianer, da er letzte Woche stärkere Zinsanhebungen befürwortete, als bisher angedacht waren. Am Montag (14.2.) werden weitere Äußerungen Bullards im US-Fernsehen erwartet. Von einer außerplanmäßigen Schnellerhöhung der US-Zinsen schon in der anbrechenden Woche wird gemunkelt.

Bullards Statement ließ Kurse sinken. Aber sie stürzten nicht. Der Markt ahnt mehr, er verhandelt etwas. — Moody Analytics Chef-Ökonom Mark Zandi: „Der Höhepunkt der Inflation ist erreicht. Der Höhepunkt war im Oktober.”

Mit anderen Worten:

Zu spät. Bullard, Powell sind zu spät dran. Die gesamte Fed ist zu spät.

Sie reagiert auf eine stark steigende Inflation, die ihren Höhepunkt allerdings bereits überschritten hat. Die Fed mag sich dabei nahe glauben an der Stimmung im Volk. Verbraucher grummeln. Die Benzinpreise steigen. Häuser werden unerschwinglich teuer.

Die Erfahrungen aus dem eigenen Lebensumfeld scheinen die Statistikanzeige der hochschießenden Inflation zu bestätigen. Eigene Erfahrung kann wertvoll sein. Sie kann auch auf eine falsche Fährte führen. So könnte es in diesem Fall sein: Die Inflationsanzeige in der Statistik steigt stark, wenn ich sie mit den Werten vor einem Jahr vergleiche. Da begann die Teuerung, die Händler hatten die Preise zunächst zurückgehalten, da auch die Nachfrage während der Pandemie nicht anzog. Dann kam verstärkte Nachfrage aufgrund von staatlichen Hilfen. Dazu traten Nachschubprobleme wegen lädierter Lieferketten auf und prompt zogen die Preise an, seitdem scheinbar unaufhörlich, der Jahresvergleich belegt das.

Anders sieht es aus, wenn ich die Statistik monatlich befrage. Für die USA liegen Monatsdaten vor für den C.P.I. ( = Consumer Pric Index).

  • 0,9 Prozent im Oktober
  • 0,7 Prozent im November
  • 0,6 Prozent im Dezember
  • 0,6 Prozent im Januar

Es ist die stärkste Inflation seit 40 Jahren. Aber sie flaut ab. Obwohl die Fed ihre angekündigten Pläne noch gar nicht in die Tat umgesetzt hat.

Szenario. Lässt Putin marschieren, sinken Kurse. Ballert Bullard in einem Montagmorgeninterview, sinken Kurse. Erklärt Fed-Chef Powell eine vorgezogene Zinserhöhung, sinken Kurse.

Kommt es anders, steigen die Kurse.

Das ist das Spiel der Kurzanleger. Eine Vorhersage über den Ausgang ist mir unmöglich, ich kenne weder Putins Gedankengänge, noch die der Notenbanker. Mittelfristig jedoch dürfte sich Statistik durchsetzen. Die Märkte, also die Mehrheit der Aktienhandelteilnehmer, werden die Lage rational beurteilen und die Kurse antreiben: Schließlich brummt die Wirtschaft, die Pandemie geht, der Fortschritt schreitet fort, und die Wirtschaftenden werden mitschreiten wollen. Nur die Fed wird hinterdrein laufen. Sie wird ihre Zins-Maschine anwerfen, dabei flaut die Inflation längst ab. Wallstreet-Suits wissen, wie die Fed dann reagieren wird und auch wann. Sie wird, um den Wirtschaftsaufschwung nicht zu gefährden, die Zins-Maschine abstellen, zu spät wohl.

Ist auch Putin zu spät dran? Will er ein Problem von gestern lösen, während die Regierten heute andere haben? In Geschichtsbüchern wird Antwort und Urteil stehen.

Immer am Sonntag vor der nächsten Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarienhier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben.