
Lage & Szenarien vom 6.2.2022
Was ich aus Facebooks Kurs-Desaster für die Aktienanlage lerne
Von Frank Sauerland
Ich höre den Wecker klingeln, bleibe liegen und verpasse deswegen den Bus. — Da habe ich einen taktischen Fehler gemacht.
Einen strategischen Fehler hätte ich begangen, wenn ich mir erst gar keinen Wecker gekauft hätte. Dann nämlich bestünde für mich keine Möglichkeit, beim nächsten Weckerklingeln besser zu reagieren — da ich keinen Wecker besäße.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat einen strategischen Fehler gemacht.
Als Steve Jobs im Jahr 2007 das iPhone vorstellt und Google 2008 eilig mit Android nachzieht, da lässt Zuckerberg lediglich eine App entwickeln, die auf den Handys der Konkurrenten laufen und den Facebook-Dienst flüssig funktionieren lassen soll.
Nun, Jahre nachdem der strategische Fehler begangen wurde, klingeln bei Apple und Google die Kassen und bei Mark Zuckerberg die Ohren: 26% stürzt die Facebook-Aktie ab, da Facebook (neuer Börsen-Name: Meta) Donnerstag die Quartalszahlen veröffentlicht. Am Freitag erholt sich der Kurs nur wenig. Fünf Gründe:
- Facebook verliert Nutzer. Eine halbe Million im letzten Quartal. Das können die geringen Zuwächse der zum Konzern gehörenden Social-Media-Dienste Instagram, Messenger, WhatsApp nicht auffangen. Es ist der erste Rückgang der Nutzerzahlen in der 18-jährigen Firmengeschichte Facebooks.
- TikTok wird zum Doppelproblem. Der chinesische Kurzvideo-Konkurrent TikTok fasziniert Abermillionen junge Menschen. Diese verbringen folglich weniger Zeit auf Facebooks Instagram, und Zuckerberg steuert mit Instagram Reels gegen. Reels ist durchaus ein Erfolg, lässt sich aber von Zuckerberg schlecht monetarisieren, da in Reels eingeblendete Werbung von Nutzern leichter ignoriert werden kann als im Instagram Feed oder in Facebooks Hauptanwendung.
- Zuckerberg glaubt an das nächste große Ding, an das Metaverse. Seine Anleger scheinbar häufig nicht. — Ein tolles Produkt, mit dem der Benutzer dämlich aussieht, ist … letztlich vielleicht doch kein so tolles Produkt. Beispiele aus der Geschichte: Segway, Ford Edsel, Google Glass. Zuckerberg investierte im vergangenen Jahr laut Berichten atemberaubende 10 Milliarden Dollar in sein Metaverse. Das Metaverse ist eine virtuelle Realität, die erst noch entstehen soll, und die ich nur wahrnehmen kann, wenn ich mir eine spezielle Brille aufsetze. Eine Brille, die für mich aussieht wie ein Backstein, die einen Durchsichtfaktor hat wie ein Backstein und gefühlt so schwer ist wie ein Backstein. Bewegen kann ich mich in der zusammenfantasierten Metaverse-Welt nach bisher bekanntgewordenen Berichten nur, indem ich in der realen Welt Körperverrenkungen mache bei gleichzeitig vorgeschnalltem Gesichtsbackstein. Der ein oder andere volljährige Metaverser mag befürchten, dabei eine dämliche Figur abzugeben. Dämlicher noch als auf einem Segway, in einem Edsel, mit einer Google Glass.
- Google knabbert an Facebooks Kuchen. Facebook sammelt in seiner Ursprungs- und Hauptanwendung Datenspuren auf, welche die Nutzer hinterlassen. Um damit passgenaue Werbung Dritter einzublenden, welche sich Facebook gut bezahlen lässt. Google macht es ähnlich mit seiner Suchmaschine und seinem Browser Chrome. Nur: Googles Sammelbasis ist breiter, dehnt sich noch aus; Google hat mit Apple einen Deal gemacht, ist in Apples Safari-Browser die voreingestellte Suchmaschine. Zuckerberg fehlt solch ein Deal, ihm fehlt eine Suchmaschine, ein Handybetriebssystem sowieso — und es wird noch übler:
- Apples Move. Teile der Internet-Reklame-Industrie seien zu einem System geworden von Verfolgern und Hausierern, die auf das schnelle Geld aus sind. Solche Meinung tat Apple-Boss Tim Cook letztes Jahr kund, und er ließ Taten folgen; iPhone-Nutzer haben die Möglichkeit, der externen Datenverfolgung und -nutzung auf ihren Handys zu widersprechen. Der Marketing-Move „Meine Daten gehören mir” ist ein voller Erfolg, die Mehrheit der iPhone-Käufer will ein möglichst privates Handy und keine Reklameschleuder in der Hand halten, verrammelt also mit schnellem Klick den Datenausgang der Facebook-App. Bitter für Facebook, die überdurchschnittlich kaufkraftstarken Apple-Nutzerdaten fehlen Facebook für zielgenaue, schön bezahlte Werbeplatzverkäufe. Bonus-Ärger: Werbetreibende, welche das Nutzerverhalten von Apple-Kunden nun schlechter verfolgen können, wandern mit ihren lukrativen Budgets zu anderen Plattformen als Facebook ab, vor allem zum Erzkonkurrenten Google. Die Befürchtung äußerte Donnerstag Metas Finanzchef David Wehner.
Merkmal strategischer Fehler ist, dass sie sich nicht korrigieren lassen. Mark Zuckerberg wird kein erfolgversprechendes Facebook-Handy mehr platzieren können neben dem iPhone und den Androiden. Auch für ein Facebook-Mobile-Betriebssystem ist am Markt kein Platz mehr. Zuckerberg bleibt das Metaverse. In eine solche virtuelle Realität flüchte ich mich als Anleger nicht:
Im Meta-Chart ( = Facebook) oben sind die Warnzeichen aus den vergangenen Wochen zu sehen. Jede Kerze steht für eine Woche. Es entsteht eine Topbildung, von mir markiert mit drei Bögen. Die rechten Seiten der Bögen sind steiler. Der Kurs erholt sich immer wieder, erreicht nicht mehr die alten Höhen. Offensichtlich wird von Ahnenden bereits vor dem Absturz in großem Stil verkauft, noch saugt der Markt das auf, bis … zum Donnerstag, boom, Tag der Wahrheit und der Offenbarung. — Solche Signale, solch ein Chartmuster geht einem Kurssturz häufig voraus, insofern schult das Facebook-Desaster mein Auge, derartige Muster sind Warnzeichen, sie entstehen durch das Verhalten von Anlegern, die auf der einen Seite als Verkäufer stehen, sie wissen, ahnen, verspüren Angst. Und auf der anderen Seite stehen die ahnungslosen Käufer, die noch glauben, eine Gelegenheit beim Schopfe packen zu können. Sie bemerken die Warnzeichen nicht, die der Kurs jeden Tag, jede Woche deutlicher in den Chart tackert.
Eine Erholung bei Facebook ist möglich. Ich setze nicht darauf. Aus oben genannten Gründen.
Lage. Unerwartet gute US-Arbeitsmarktzahlen, am Freitag verkündet, einige positiv aufgenommene US-Quartalszahlen (Amazon +13%, Snap 58%!) lassen Aktienanleger entspannter auf Zinserhöhungen blicken, welche die amerikanische Fed angekündigt hat. Der Winter stürmt durch Texas, behindert die Ölproduktion, der Preis fürs Öl zieht an.
Szenario. Die Wirtschaft brummt, die Zinsen steigen, Omikron geht. In US-Zwischenwahljahren geht es für Aktienkurse oft nur zäh voran. Ich erwarte von daher keine Wunderdinge. Anleger werden genau auf die Gewinnaussichten einzelner Unternehmen schauen und aussortieren. Der Marktcharakter ist für mich ein anderer als in den Monaten direkt nach der Pandemie, da die großen Tech-Werte unbesehen hochgekauft wurden. Jetzt wird aussortiert und es passieren Favoritenwechsel, durchaus in kursbrutaler Weise.
Immer am Sonntag vor der nächsten Handelswoche schreibe und verschicke ich die kleine Marktvorbereitung Lage & Szenarien → hier auf meinem privaten Emailverteiler eintragen und Lage & Szenarien am Sonntagmorgen im eigenen Email-Postfach haben.